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Die Ocelot-Pleite und die Chancenlosigkeit unabhängiger Buchhandlungen im Netz

Kaum ein Buchhandelsprojekt fand in den letzten zwei Jahren so viel Beachtung wie Ocelot, eine innovative Buchhandlung in Berlin-Mitte, die "not just another bookstore" sein wollte. Ende Oktober musste Ocelot zumindest vorläufig Insolvenz anmelden – auch, weil sich das Unterfangen, im Netz eine eigenständige wettbewerbsfähige Alternative zu Amazon auf die Beine zu stellen, zu einem kostspieligen Desaster entwickelte.

"Deutschlands Vorzeigebuchhandlung" nannte der Buchreport Ocelelot, als er an diesem Dienstag als erstes die Insolvenznachricht verbreitete. Erst Mitte 2012, also schon mitten in der Buchhandelskrise, eröffnete Frithjof Klepp seinen Laden an exonierter Stelle in Berlin-Mitte. Bücher wurden in großzügigem und gediegenem Ambiente präsentiert, es gab zahlreiche Lesemöglichkeiten und natürlich ein Cafe.

Daran angebunden sein sollte eine Online-Präsenz, die ebenfalls nicht "just another Online Store" sein wollte. Statt einer Lösung von der Stange, wie sie Grossisten wie Libri und KNV anbieten (und sie Ocelot anfangs auch hatte), sollte ein komplett eigener Store her. Der ist aber bis heute nicht richtig auf die Beine gekommen. Im Jahr 2013 war ocelot.de einige Monate offline, und auch aktuell gebe es keine signifikanten Online-Umsätze, räumte Klepp ein. Der Ocelot-Günder sagt im Interview mit dem Buchreport selbst, er habe "die Herausforderungen eines unabhängigen, anspruchsvollen Onlineshops nicht hoch genug eingeschätzt".

Es wäre viel zu kurz gegriffen, die Pleite allein aufs fehlende Online-Geschäft zu schieben. Die vermutlich horrende Ladenmiete nebst kostspieligem Inventar – 195.000 Euro unter anderem für handgearbeitete Holzmöbel – wird einen wesentlichen Anteil am Niedergang gehabt haben. Damit einher gingen sicherlich weitere kalkulatorische Fehler.

Online nur Gefälligkeitskäufe

Das Scheitern des Online Store, ein elementarer Bestandteil des ehrgeizigen Multi-Channel-Konzeptes von Ocelot, wird aber mehr als nur ein Sargnagel sein. Der Store wurde für Ocelot von der Intershop-Tochter TheBakery maßgeschneidert, die komplette Abwicklung von Content-Aggregation bis zur Abrechnung liegt in der Hand des Buchhändlers. Neben heftigen intialen Kosten ergab sich für das Ocelot-Team daraus ein riesiger kontinuierlicher Pflegeaufwand, wohlgemerkt zusätzlich zum Kerngeschäft in der Berlin-Mitte-Buchhandlung.

Dass diesem Aufwand bis heute keine Erlöse gegenüberstehen, ist sicherlich nicht dem mangelnden Herzblut geschuldet. Fakt ist: Im Vergleich zu den Stores der großen Filialisten und von Amazon ist ocelot.de schlicht nicht gut genug. Die Seite ist langsam, die Suchfunktion braucht selbst den Vergleich mit buchhandel.de nicht scheuen (Beispiel), und kuratierte Inhalte gibt es nur vereinzelt und nicht in der Qualität wie bei den "Großen". Die Gründe liegen auf der Hand: Inhalte wie eine regelmäßige Auswahl von eBook-Aktionen, wie es sie bei Amazon, Thalia & Co. gibt, erfordern zeitliche Ressourcen, eine Verbesserung der technischen Infrastruktur daneben auch unmittelbar Finanzielle.

Weil auch an signifikant viele Suchmaschinen-Besucher nicht zu denken ist – allein im Bereich SEO und SEM sind bei den Großen mehr Menschen beschäftigt als bei Ocelot insgesamt – bleibt es online bei Gefälligkeitskäufen. Gleiches gilt für sämtliche anderen unabhängigen Buchhandlungen, die mit Baukastenlösungen ihrer Grossisten unterwegs sind.

Auf dem Tolino sind alle gleich

Die Baukasten-Stores sind ein gutes Angebot für alle Kunden, die aus Verbundenheit zum Stadtteilbuchhändler Bestellungen tätigen wollen. Konkurrenzfähig zu den Ketten und zu Amazon können sie aber nicht sein – anders als auf der Fläche, wo unabhängige Buchhändler mit Ambiente, Beratung und Auswahl sehr wohl eine bessere Alternative zu den Multis darstellen können.

Eine vielleicht einzigartige Chance bietet "Indies" der Verkauf des Tolino Vision 2. Ist das Gerät erst in Kundenhand und eingerichtet, schlägt es sich mit Libri-Anbindung nicht schlechter als mit dem Store eines großen Filialisten im Hintergrund. Essentiell dafür ist natürlich eine gute Beratung – und dass Interessierte in Kauf nehmen (oder schlicht nicht wissen), dass sie für den Tolino Vision 2 beim stationären Buchhändler 20 Euro mehr bezahlen als anderswo.

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Kommentare


eBooks im Buchhandel: Die Stunde hat geschlagen [Gastartikel] » lesen.net 13. November 2014 um 11:20

[…] Woche schrieben wir über die Chancenlosigkeit unabhängige Buchhandlungen im Netz – und im Vergleich […]

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