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ddrautoren.de: 70-jährige verlegt Hunderte DDR-Bestseller digital

Die meisten Menschen ruhen sich nach ihrer Pensionierung aus, Gisela Pekrul hat einen Digitalverlag gegründet. Ihre Nische: Vergessene DDR-Literatur. Inzwischen verlegt die 70-jährige unter anderem Wolfgang Schreyer und Erik Neutsch, deren Werke als Papierbücher Millionenauflagen erreichten. Im Interview erzählt Pekrul, wie die Übertragung der E-Book-Rechte funktioniert, warum der Standardpreis in ihrem Verlag bei 8,99 Euro liegt und warum es für sie immer wieder ein Vergnügen ist, ein DDR-Buch aus heutiger Sicht zu lesen.

Wie sind Sie nach Ihrer Pensionierung auf die Idee gekommen, einen Digitalverlag zu gründen?

Die Edition Digital habe ich bereits 1994 in Schwerin ins Leben gerufen. Allerdings hat sich daraus zunächst ein Unternehmen mit dem Schwerpunkt auf Softwareentwicklung und Publikationen auf CD-ROM und im Internet entwickelt. Erst nachdem ich diese Firma 2008 verkauft hatte, konnte ich mich voll auf den Verlag konzentrieren, dem meine heimliche Liebe galt und der weiterhin existiert hatte, aber auf Sparflamme. Neben einigen gedruckten Büchern erschienen in den Jahren 2009 bis 2011 mehrere CD-ROMs mit historischen Ansichtskarten von Schwerin und zu Handwerks- und Berufszeichen, für die ich gleichzeitig Autor bin. Allerdings hatte ich mich schon auf der Leipziger Buchmesse 2010 umfassend über E-Books informiert und mich daraufhin entschieden, 2011 nach vielen Jahren Pause wieder dort auszustellen und probeweise die ersten E-Books anzubieten. Der Einfachheit halber waren das E-Book-Versionen von Büchern aus dem eigenen Verlag.

E-Book-Verlegerin Gisela Pekrul

E-Book-Verlegerin Gisela Pekrul

Welches waren die ersten Autoren, die Sie nach der Messe als E-Book wiederveröffentlicht haben?

Als klar war, dass ein steigendes Interesse für E-Books besteht, habe ich mich von einem Blick ins eigene Buchregal inspirieren lassen. Dort steht unter anderem eine große Sammlung von DDR-Kinderbüchern, und im Juli 2011 habe ich einige der Autoren angeschrieben. Günther SaalmannRudi CzerwenkaGerhard DallmannBarbara Kühl,Brigitte Birnbaum und Jürgen Jankofsky waren die ersten, die auf meinen Brief reagierten, und schon im August 2011 erschienen die ersten E-Books. Ich merkte dann aber schnell, dass die Zeit für Kinder-E-Books, die nicht multimedial aufbereitet sind, noch nicht gekommen war, und begann mich auch für die Veröffentlichung von belletristischen DDR-Werken zu interessieren.

International bekannte ostdeutsche Autoren wie Christa Wolf, Stefan Heym oder Heiner Müller waren schon „besetzt“ und bei Publikumsverlagen unter Vertrag. Gleichzeitig gab es unter dem Dach der Eulenspiegel-Verlagsgruppe eine Reihe von Verlagen mit DDR-Wurzeln und dem Schwerpunkt auf ostdeutschen Autoren. Wie haben Sie vor diesem Hintergrund Ihre Nische gesucht und gefunden?

Die Nische war deshalb leicht zu finden, weil die meisten DDR-Autoren einen schlimmen „Wendeknick“ erleben mussten. Ihre Bücher waren schlicht und einfach vergessen und nicht mehr erhältlich. Einige Autoren wollten zunächst gar nicht glauben, dass ich vor allem aus Liebe zu ihren Büchern an den E-Book-Rechten interessiert war. Erst aus den Gesprächen mit ihnen erfuhr ich, dass sie bisher vorwiegend Angebote von Bezahlverlagen erhalten hatten. Daraufhin änderte ich mein Standardschreiben und wies darauf hin, dass für die Autoren keine Kosten entstehen. Erik Neutsch …

…, der mit „Spur der Steine“ eines der erfolgreichsten Bücher der DDR-Literatur schrieb und 2013 verstarb, …

… sagte mir am Telefon: „Sie können alle meine Bücher bekommen, die will sowieso kein Verlag mehr haben.“ Eine Woche später erhielt ich den von ihm unterschriebenen Vertrag zurück. Die Umsetzung seiner bedeutendsten Bücher konnte er noch erleben, alle anderen erscheinen bis zu seinem ersten Todestag im August dieses Jahres. Im Oktober 2011 habe ich außerdem mit der Umsetzung des Gesamtwerkes von Wolfgang SchreyerKlaus Möckel und Dietmar Beetz begonnen, einschließlich deren Nachwendebücher.

Wie waren die Reaktionen, wenn Sie den Autoren erzählten, dass Ihr Verlag ausschließlich in digitaler Form veröffentlicht?

2011 und 2012 war das Medium E-Book für viele so neu, dass sie sich auf meine Erfahrungen verlassen haben. Die Autoren begriffen aber auch die Chance, auf diese Weise ihre Bücher erneut auf den Markt zu bringen. Nur einige wenige Autoren haben es abgelehnt, ihre Bücher digital zu veröffentlichen. Inzwischen habe ich manchen meiner Autoren beim Kauf eines E-Book-Readers beraten. Meine mit 91 Jahren älteste Autorin Holda Schiller ließ sich kurz vor ihrem 90. Geburtstag ein Lesegerät schenken.

Rechte direkt von den Autoren

Wie funktioniert die Rechteübertragung? Sind die Rechte nach dem Ende der DDR automatisch auf die Autoren übergegangen?

Ich erwerbe grundsätzlich die Rechte direkt von den Autoren. Viele vertrauten nach dem Untergang der DDR-Verlage den neuen Eigentümern nicht und forderten ihre Rechte zurück. Andere fragten nach, ob Interesse an einer neuen Auflage besteht und erhielten daraufhin die Rechte zurück. Ich veröffentliche aber auch neue Manuskripte ehemaliger DDR-Autoren, die es leid sind, Absagen von Verlagen zu erhalten. Meist drucke ich zusätzlich zur E-Book-Veröffentlichung auch eine kleine Auflage, damit die Autoren „etwas in der Hand haben“.

Bücher zwischen 200 und 400 Seiten kosten bei Ihnen in der Regel 8,99 Euro, kürzere Texte liegen meist bei 6,99 Euro oder 4,99 Euro. Sind das auch die E-Book-Standardpreise, mit denen Sie 2011 losgelegt haben? Oder haben sich die Preise erst im Laufe der Jahre durch Marktbeobachtung ergeben?

Ich biete qualitativ hochwertige Inhalte an, die ich auch im Interesse der Autoren nicht verschleudern kann und möchte. Es handelt sich ja nicht um rechtefreie Bücher und auch nicht um erste Versuche eines unbekannten Autors. In meiner E-Book-Reihe „Verlagsprofi verrät sein Know-How“, das sich an neue Digitalverlage oder kleine Printverlage mit E-Book-Ambitionen richtet, habe ich in der ersten Folge ausführlich und durch Rechenbeispiele unterlegt die Prämissen für die Preisgestaltung aufgezeigt, die vor allem von Apple und Amazon bestimmt wird. Mit diesen Preisen kalkuliere ich seit dem Start des E-Book-Programms der Edition Digital. Lediglich bei einigen sehr dicken Büchern, die sicher einen noch höheren Preis wert wären, habe ich mich auf 9,99 beschränkt, um bei Amazon nicht in die 35%-Tantieme zu rutschen.

Das heißt sie beliefern Amazon direkt über das KDP-Programm für Selbstverleger? Und die anderen Anbieter über Distributoren?

Ja, soweit es mir durch Verträge möglich ist, beliefere ich die Plattformen direkt. Gerade lasse mir ein maßgeschneidertes Programm zur automatischen Anlieferung erstellen. Weltbild, Thalia, Hugendubel und die anderen Anbieter der Tolino-Allianz sowie Bibliotheken bediene ich durch Distributoren. Mit GooglePlay habe ich schon lange einen Vertrag, aber noch keine Zeit gehabt, alle Titel einzustellen. Beim iBooks-Store von Apple hat der erste Anlauf nicht geklappt, und ich muss mich erneut darum kümmern.

Sie verkaufen Ihre E-Books nicht nur über die großen Online-Shops, sondern auch direkt über die Verlagsseite ddrautoren.de. Wie ist der Kuchen verteilt?
Die mit Abstand meisten Verkäufe tätigt Amazon. An zweiter Stelle steht die Tolino-Allianz. Im Vergleich dazu hat meine Verlagsseite noch großen Nachholbedarf, aber die Akzeptanz entwickelt sich positiv, und es wird sicher noch weitere technische Verbesserungen geben.

Wie sind die Autorentantiemen in Ihrem Verlag geregelt?

Anfangs habe ich mich an dem zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels herausgegebenen Rahmenvertrag für E-Books orientiert und den Autoren einen prozentualen Anteil am Nettoverlagserlös ausgezahlt. Inzwischen bekommen meine Autoren grundsätzlich einen festen Anteil am deutschen Nettoverkaufspreis des E-Books – unabhängig davon, über welche Plattform und in welchem Land das Buch verkauft wird. Das ist eine für beide Seiten überschaubare und nachprüfbare Regelung. Ich habe mir ein wunderbares Programm schreiben lassen, mit dem die halbjährliche Honorarabrechnung für rund 100 Autoren ein Kinderspiel ist.

Neben Wolfgang Schreyer, dessen DDR-Werk stark gesellschaftskritische Züge trug, verlegen Sie zum Beispiel auch den 1983 beim DDR-Verlag Volk und Welt erstmals auf Deutsch erschienenen Roman „Der Winter ist ein anderes Land“ des Rumänen Gabriel Gafita, der in seiner Heimat wiederholt Probleme mit der Zensur hatte.

Es ist für mich immer wieder ein Vergnügen, ein DDR-Buch zu verlegen und aus der heutigen Sicht zu lesen. Auch bei Autoren, die in der DDR stark gelobt wurden und auch heute noch als staatsnah eingeschätzt werden, findet man oft sehr kritische Aspekte, zum Beispiel bei Erik Neutsch. Manches gesellschaftskritische Werk aus meinem Verlagsprogramm wurde schon in der DDR breit diskutiert, etwa „Hexensommer“ von Elke Nagel. Andererseits erzählen mir Autoren, welche Probleme sie mit bestimmten Werken oder Passagen hatten, die ich heute als banal einschätzen würde und die der DDR garantiert nicht geschadet haben.

Kommen Autoren, die bereits in der DDR Bücher veröffentlicht haben, inzwischen auch von sich aus auf Sie zu?

Ja, die letzte Anfrage kam vor einer Woche. Spätestens nachdem ich zur Leipziger Buchmesse 2012 bereits E-Books von 38 DDR-Autoren anbieten konnte, hatte es sich in der Szene herumgesprochen, dass es einen neuen Verlag gab, der DDR-Literatur digital wiederveröffentlicht. Die meisten DDR-Autoren kennen sich untereinander, und manch einer wartete wohl erst auf das Urteil eines Kollegen, ob man mir und der Edition Digital vertrauen könne.

100 Autoren unter Vertrag

Inzwischen haben Sie rund 100 Autoren unter Vertrag und bringen 200 Titel pro Jahr heraus.

Von den 800 Büchern, die ich unter Vertrag habe, sind bisher 420 umgesetzt. Insofern bin ich bis zum Ende nächsten Jahres voll ausgelastet. Ich habe mir für dieses Jahr eine Jubiläumsliste erstellt, um zu runden Geburtstagen oder besonderen Todestagen eines Autors das Gesamtwerk oder alle vertraglich gebundenen Bücher herauszubringen. Da ich von all „meinen“ DDR-Autoren schon mindestens ein E-Book umgesetzt habe, bevorzuge ich diejenigen, die auf der Verlagsbestsellerliste ganz oben stehen. Dazwischen schiebe ich auch gern mal das Erstlingswerk eines neuen Autors.

Welches sind Ihre Bestseller?

Ganz vorne liegt die Science Fiction-Reihe „Die Zeitreisende“ des Sternberger Autors Hardy Manthey, aus der im April der 14. Teil erschienen ist. Als Nächstes folgen „Die Gespielinnen des Königs“ von Klaus Möckel und „Das grüne Ungeheuer“ von Wolfgang Schreyer.

Hardy Manthey hat erst nach der Wende mit dem Schreiben begonnen. Wollen Sie sich in Zukunft verstärkt Originalausgaben ostdeutscher Autoren widmen?

Die Backlist bleibt der Schwerpunkt, aber ich bin grundsätzlich offen für neue Autoren. Neben Manthey habe ich noch einige andere Originalausgaben veröffentlicht, auch von Autoren aus den alten Bundesländern. Wenn der Inhalt nicht allzu seicht und nicht der rechten Szene zuzuordnen ist oder Kriege und Gewalt verherrlicht, weise ich keinen Autor zurück. Auch die DDR sollte nicht verunglimpft werden, das bin ich meinen DDR-Autoren schuldig. Wenn ich mir von einem Titel keine großen Verkaufszahlen verspreche, verlange ich allerdings einen moderaten Vorschuss für die Covererstellung.

Könnten Sie von dem Verlag leben, wenn Sie es müssten? Oder handelt es sich eher um eine Mischung aus „Geschäft“ und „Herzensprojekt“?

Das Letztere trifft im Moment zu, das Erstere will ich im nächsten Jahr erreichen. Dieses Jahr investiere ich noch stark in die Softwareerstellung – alles was sich automatisieren lässt, soll automatisiert werden, damit nur noch das Vergnügen des Korrekturlesens für mich bleibt. Außerdem lasse ich den Vorlauf bezüglich Covererstellung und Scanservice erstellen, damit ich ab nächstem Jahr die Früchte meiner Arbeit genießen kann. Mein Optimismus beruht auf realen Erfahrungen. Das Unternehmen, das ich eingangs erwähnte, habe ich völlig blauäugig aus dem Nichts heraus und durch Arbeitslosigkeit gezwungen gegründet – und zum Zeitpunkt des Verkaufes ernährte es zwanzig Personen. Da ich inzwischen siebzig und nicht nur älter sondern auch etwas erfahrener bin, werde ich die monatlichen Belastungen nach der Investitionsphase so klein wie möglich halten, so dass dann der größte Teil des Umsatzes, der jetzt schon ein Mehrfaches meiner Rente beträgt, zum Leben verwendet werden kann.

Derzeit grassiert in der E-Book-Szene ein kleines Gründerfieber, immer mehr reine Digitalverlage gehen an den Start. Welche Ratschläge haben Sie für künftige E-Book-Verleger?

Das Wertvollste jeden Verlages sind die Autoren. Dazu gehört unbedingte Ehrlichkeit bezüglich der Verkaufschancen, ein sachkundiges Lektorat und eine korrekte und pünktliche Honorarabrechnung. Bevor man ein E-Book herausgibt, sollte man sich mit solch banalen Fragen wie dem Urheberrecht und dem Titelschutz beschäftigen, denn ich musste schon einigen Verlegern auf die Finger klopfen. In meiner fast 20-jährigen Unternehmensgeschichte waren Buchmessen wegen des direkten Kontakts mit den Lesern für mich sehr wichtig.

sebastian brückDas Interview wurde geführt von Sebastian Brück und erschien zuerst im Blog des Autoren. Sebastian Brück schreibt als freier Journalist für Print- und Online-Medien. Außerdem veröffentlicht er gedruckte und digitale Bücher (Autorenprofil bei Amazon.de), bei Großverlagen wie Random House ebenso wie im Eigenverlag. Für jeden ambitionierten Schriftsteller einen Blick wert ist Brücks Ratgeber Wer rezensiert mein E-Book? Blog-Wegweiser für Indie-Autoren (und ihre Leser).

<Bildnachweis: Bücherreihe von Shutterstock>

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Newsletter 14. Mai 2014 | kulturimweb.net 14. Mai 2014 um 13:42

[…] Ruhig wollte Gisela Pekrul ihren Lebensabend nicht begehen. Stattdessen setzte sie ein Herzensprojekt um und gründete einen Digital-Verlag. Hier verlegt sie Werke vergessener oder im Westen unbeachteter DDR-Bestseller-Autoren wie Erik Neutsch. lesen.net […]

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