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Sind Verlage & Mitarbeiter fit für die digitale Zukunft?

foto-1Ohne große PR und Verlautbarung fand vor etwa zwei Wochen in München die Präsentation einer Studie statt, welche sich dem Thema "E-Books – wie Verlage von der Digitalisierung profitieren können" widmete. Entsprechend klein war der Teilnehmerkreis, etwa 10 Vertreter aus Verlagen gegenüber vier der Organisatoren (Mücke, Sturm & Partner sowie ESB Reutlingen, die gemeinsam die Untersuchungen zur Studie durchführten) – ein "intimer" Kreis, der sich in den nachfolgenden Diskussionen aber als echter Vorteil erwies.

Kernaussagen der Studie, die auf den Aussagen von 150 "Führungskräften" aus Verlagen basiert:

  1. Neue Endgeräte bringen den E-Book-Markt voran, allerdings Verlage auch unter Druck
  2. Es besteht Handlungsbedarf seitens der Verlage – noch können sie den Markt prägen, ansonsten droht ihnen die Rolle des reinen Contentlieferanten
  3. Digitalisierung bedeutet auch Änderungen an der eigenen Organisationsstruktur
  4. Man rechnet mit einem Umsatzanteil von zukünftig 32% für E-Books und Konvergenzprodukte gegenüber Print

Bis auf den letzten, dem Blick in die Kristallkugel verhafteten Punkt kann man nur zustimmen. Und ein etwas genauerer Blick in die Studie zeigt weitere interessante Punkte auf, so hält man das Kostensenkungspotential bei E-Books für gering (dies hat wiederum Auswirkung auf die Diskussion, wie E-Book-Preise gestaltet werden sollen). Digitale und klassische Printformate werden ergänzend gesehen, gleichzeitig ist der Schwerpunkt im Digitalen der neue Vertriebskanal – das zeigt dann doch noch ein sehr traditionell verhaftetes Denken, etwas flapsig ausgedrückt: "Wir machen digitale Kopien unserer Bücher und vertreiben die übers Internet". Das kann nicht das Ende der Fahnenstange sein.

Ein in der Vergangenheit oft nur am Rande beachteter Punkt, der die zukünftigen Organisationsformen von Verlagen betrifft, war sowohl in der Auswertung der Studie als auch in den sehr offen geführten Diskussionen * deutlich zu spüren. Fehlende Struktur und Know-How waren laut Studie in allen Verlagsgrößen, egal ob kleiner Mittelständler oder Konzern, ganz klar vor dem Hintergrund fehlendenden Budgets zu sehen (wobei man sich  fragen muss, ob jemand, auch in einer anonymisierten Studie, zugeben mag: "Wir haben schlicht kein Geld für so etwas".)

AppleDas könnte für die Branche noch zu einem echten Problem werden – schließlich handelt es sich nicht um vertraute Produkte wie Bücher oder Zeitschriften, die keinem Mitarbeiter mehr erklärt werden müssen. Wie geht man zum Beispiel in Lektoraten, Redaktionen und Herstellungsabteilungen bei der sinnvollen Produktion von Apps vor, wenn viele nicht über ein Smartphone verfügen und entsprechend keine Erfahrungen mit Apps haben. Wie soll dies Autoren vermittelt? Wie soll auf dieser Basis Produktkonzeption funktionieren, wenn das Fachwissen aus diversen Newslettern (im günstigsten Fall), in der Regel aber aus dem Börsenblatt besteht? Brauchen Verlage Multimediaproduktmanager und Multimediaproducer?

Der in der Online-Ausgabe der FTD zur Veranstaltung erschienene Artikel "Verlage zögern digitale Angebote hinaus" ist hier auch nicht sehr hilfreich, durch seine Polemik und Vereinfachung eher kontraproduktiv. Wer mit Kollegen aus der Branche spricht, merkt viel Unsicherheit, aus der natürlich Ressentiments entstehen – nicht umgekehrt, wie dort vermittelt. Hier haben Leute schlicht Sorge um ihre Jobs. Und die Sorge wird durch genau dieselbe Unsicherheit auf Führungsebene auch nicht gerade weniger.

Normalerweise reagiere ich auf die Aussage "Man muss die Leute mitnehmen" immer lapidar mit "Bin ich ein Busunternehmen?", zu oft hat man den Satz schon von Beratern aller Couleur gehört. Eine Wahrheit steckt hier aber doch dahinter, denn die Alternative zu der kooperativen, sich informierenden, austauschenden, lernenden Umgestaltung der Verlage, der Berufsbilder, der Arbeitsplätze selbst wäre in der Konsequenz ein radikaler Umbau, der die Branche mindestens so durchrütteln würde wie die Digitalisierung selbst, und der Verlust an "altem" KnowHow, der auch in Zukunft noch gebraucht wird, wäre zu groß.

Nachfolgend die Studie selbst sowie die Präsentationen  (übrigens sehr lesenswert, da diese auch Übersichten beinhalten, auf was man bei der Digitalisierung achten muss resp. was auf einen als Verlag zukommen kann – gut für Präsentationen, die man vor den eigenen Chefs hält; Vollbild über Menu -> View Fullscreen)

E books concept – erfolgsfaktoren für ein e-book

* Mal ein Hinweis bzw. Lob: meistens sind solche Studienpräsentationen nur mit viel Kaffee und einem Smartphone in der Hand zu ertragen, die kleine Münchner Veranstaltung hat aber vorgemacht, wie es auch anders geht. Teilweise waren die Vortragenden eher Moderatoren der Teilnehmerdiskussion statt Frontmann einer Powerpointpräsentation. Davon wünschte ich mir mehr.

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Kommentare


Thomas Knip 17. August 2010 um 14:48

Jeh, wie soll man auf solch ein komplexes Thema in einem Kommentar eingehen? Danke erst einmal für die ganzen Präsentationen und den Bericht.
Gerade für die Leser ist es auch wichtig zu sehen, wie die Verlage eigentlich "ticken".

Drei Punkte:

– Verlagsstruktur: Sie stellt in meinen Augen für viele Verlage das größte Problem dar. Lösung? Outsourcing. Wenn ich von einem Dienstleister meine Druckvorlagen erstellen lassen kann, kann ich auch meine eBooks oder eBook-Apps außer Haus erstellen lassen.

Ich habe seit gut einem Vierteljahr eine Service zur Erstellung von eBooks – und Hauptpunkt für meine Verlagskunden: Sie müssen sich nicht selbst darum kümmern.

– Raubkopien: Wie nimmt man Verlage diese irrationale Angst bzw. wie macht man ihnen bewusst, dass diese Angst irrelevant oder kontraproduktiv ist?
Nahezu alle Raubkopien werden immer noch vom gedruckten Buch erstellt. Das scheinen Verlage überhaupt nicht nachzuvollziehen. Ihre analoge Vorlage ermöglicht erst die digitale (Raub)kopie. Und das bereits seit einem guten Jahrzehnt.
Illegale Kopien lassen sich nicht verhindern. Also müssen sich Verlage fragen, ob sie den Markt gleich den Raubkopierern überlassen wollen oder am Geschäft mitpartizipieren. Denn auch wenn die Medienlandschaft ein (nicht geschäftsförderndes) Misstrauen gegenüber ihren Kunden hat – die meisten von ihnen sind ehrlich und auch bereit, für ein gut gemachtes Produkt einen akzeptablen Preis zu zahlen.

– Preis und Content: Ein eBook bietet einem Leser aktuell weniger Mehrwert als ein Buch. Damit erwarten die Leser zu Recht deutlich günstigere Preise. Enriched Content ist ein Gimmick, das für mache Inhalte – Kochbücher, Reiseführer – sehr viel Sinn macht, in der Belletristik ist es ein Spielzeug. Brutal formuliert: Firlefanz.
Es gibt inzwischen mehrere Berechnungsmodelle, die zeigen, dass Verlage selbst bei deutlich günstigeren Preise durch die unterschiedliche Infrastruktur des Vertrieb mindestens genauso viel, wenn nicht sogar mehr Gewinn pro Einzelverkauf machen.
Ohne einen deutlich vergünstigten Preis (25+%) tun sich Verlage keinen Gefallen. Ebenso wenig, wenn sie Lesern nur einen Bruchteil ihres Sortiments, zumeist nur die aktuellen Werke, bieten. Der "long tail" macht bei deutlich günstigeren Herstellungskosten für eBooks auch bereits deutlich kleinere Verkaufszahlen bei einem großen Verlagssortiment reizvoll.

Das ist jetzt alles nur kurz angerissen. Positiv ist zumindest, dass sich ein Großteil der verlage zumindest aktiv mit digitalem Content auseinander setzt.

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Steffen Meier 18. August 2010 um 12:21

Outsourcing halte ich im jetzigen Stadium nicht für geschickt. Im tradierten Buch- und Zeitungsbereich, mit durchdeklinierten Produktformen – okay. Aber im sich enorm schnell entwickelnden elektronischen Markt wäre es sicher zu empfehlen, sich unternehmensintern damit zu beschäftigen, um erst ein "Gefühl" für neue Produkte, deren Inhalte, Konzeption, Design, zu bekommen.

Antworten

Harvey 18. August 2010 um 13:09

Die Studie enthält meines Erachtens wichtige Punkte, vergisst oder ignoriert aber wesentliche Marktelemente.

1) Verlag ist nicht Verlag. Allein Buchverlage vs. Zeitungs- und Zeitschriftenverlage haben sehr unterschiedliche Anforderungen, angefangen vom Halten der Kundenbeziehung über Notwendigkeit DRM bis hin zur unterschiedlichen Wichtigkeit von Layout. Bei Büchern spielt Layout meist nahezu keine Rolle, bei Zeitschriften und Magazinen sehr wohl. Hierbei habe ich unterschiedliche Subverlagstypen noch nicht berücksichtigt, denn für eine Gala stellt sich eine andere Herausforderung als für z.B. das Handelsblatt.

2) Distribution des E-Contents: Vielfalt der abzubildenden Plattformen und Formate beschränkt die Handlungsmöglichkeiten der Verlage. Wenn man nur Computer, Handy, Pads / Tabs und Reader nimmt, sprechen wir von über 17 Plattformen, auf denen Reader für verschiedene Plattformen mit unterschiedlichen Bildschirmgrößen und Interaktionsparadigmen laufen. Das kann ein Verlag allein im Leben nicht bauen und nachhalten.

3) Die Conclusio der Studie ist m.E. mangels Differenziertheit ebenso problematisch. Es geht nicht nur um Marktkonzepte für E-Books, sondern um eine Lösung für die Branche, die auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht nimmt. Es werden nur einzelne Denkfelder aufgemacht, aber keine echten strategischen Alternativen in Form von Bundels aufgezeigt. Naja, MSP will ja auch noch Beratung verkaufen.

4) Ignoranz dessen, was vor Kunde zählt: Content mag nach wie vor King sein, aber User Experience ist die Dame auf dem Schachbrett. An ihr scheiden sich die Geister

Und was lernen wir daraus? Doch zurück zu Amazon und Apple?

Bestimmt nicht, denn ihre geschlossenen Systeme mit Einschränkungen der Freiheiten von Verlagen haben m.E. keine Zukunft – weder aus Verlags- noch aus Usersicht. Es wird eher zeit für neue Player, die Content nicht als Mittel zum Zweck sehen, sondern als Teil dessen, was der Kunde über alle Front-Ends auf seinen Geräten unabhängig von Hardware-Anbietern erleben will. Verlage sollten sich solch neuen Playern anschließen, die eine über alle Content-Typen übergreifende Experience liefern und dies auch auf alle Endgeräte liefern können. Das ist aber weder die Kernkompetenz von Apple noch die von Amazon, auch wenn sie im Moment Marktanteile haben.

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Eric 23. August 2010 um 08:04

Hallo Steffen,
sehr viele richtige Dinge hier zum Thema eBook. Ich musste kurz aufhorchen, weil du schreibst "(wobei man sich fragen muss, ob jemand, auch in einer anonymisierten Studie, zugeben mag: “Wir haben schlicht kein Geld für so etwas”.)".
Ich finde es auch verblüffend – aber mache genau diese Erfahrung seit fast einem Jahr unablässig bei Buch-Verlagen (und sonst eigentlich nirgends so stark). "Man müsste das machen, aber Geld haben wir leider keines," ist die Kernaussage. Ich finde das einerseits sehr verständlich: Während man Menschen entlassen muss, ist es wirklich schwer in digitale Medien (oder in unserem Fall in SEO) zu investieren. Andererseits ist es m.E. einfach eine sehr gute Idee, in die Zukunft zu investieren. Egal, ob da jetzt schon alles 100%ig belegbar ist oder nicht.
Das fällt mir auch zu den Kommentatoren vor mir ein: Wir leben da in einem Umbruch. Und wer sich seiner Sache ganz sicher sein will, druckt natnürlich seine Belletristik so lange nur auf Papier bis alle Plattformen, Vertriebskanäle und die User-Experience für eBook perfekt sind. Wer dann noch lebt, muss halt ein paar Euros mehr für den Markteintritt ausgeben… (Achtung: Ironie)
Muss man denn ausgerechnet Verlegern immer wieder sagen: Wer nur über eine Reise nachdenkt, kommt nicht voran?
Grüße
eric

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Sergey 25. August 2010 um 14:24

Ich verstehe da was falsch oder? Jeder Verlag (bzw. Druckerei) arbeitet heute mit Digiprint-Verfahren. Es bedeutet, dass jedes Buch sowieso als QuarkXpress- oder Adobe Pagemaker&Co-Dokument gespeichert wird. Was stört nun die Verlage diese digitalisierte Vorlage einfach in einen notwendigen Format zu konvertieren (Plugins und Tools gibt’s doch dafür) und zu deutlich günstigem Preis anzubieten? Es entfällt der Preis für Papier, für Druckerei, Transport, Logistik und, und, und… Klar, dass die Leute wollen keine 30-40 Euro für einen aktuellen Bestseller als eBook ausgeben, wenn schon in 5-6 Monaten die Taschenausgabe 9,90 Euro kosten wird und wenn man desselben Buch im Papierform zu dem gleichen Preis kaufen kann.

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