5 E-Reading-Trends für 2018
"Zurück auf Start" könnte das Fazit fürs E-Reading-Jahr 2017 lauten. Neue eBook Reader adaptieren bereits in den Vorjahren eingeführte Funktionen respektive wiederbelebten sie, und auch im Bereich digitales Lesen sahen wir nicht mehr als altbekannte Modelle in neuem Gewand, während innovative Experimente eingestampft wurden. Was bringt das Jahr 2018?
Das letzte Jahr begann mit einem Paukenschlag: Am Neujahrstag 2017 wurde publik, dass Kobo die deutsche Telekom als Technologie-Partner in der Tolino-Allianz ablösen wird. Damit einher geht ein sukzessiver Rückzug von Kobo als eigener Marke auf dem deutschen Markt. Der erste von Kobo konzipierte Tolino, der Tolino Epos, war dann allerdings nur innerhalb der Tolino-Familie eine echte Innovation. Das beleuchtete 7,8″ E-Ink-Display nebst Blaulichtfilter des Tolino Epos verbaute Kobo schon im Jahr 2016 in seinem Aura One.
Auch bei Platzhirsch Amazon gab es an der E-Reading-Front wenig Neues. Während der Online-Händler im Bereich Smart Home Vollgas gibt (Fire TV, Echo-Lautsprecher und -Bildschirme mit Alexa), wurde im Jahr 2017 nur ein einziges neues Kindle-Lesegerät vorgestellt. Der Kindle Oasis 2 (2017) trug mit seinem 7-Zoll-Display den Trend zu größeren Panels im High-End-Segment Rechnung, ist außerdem als erster Kindle wasserdicht. Mit der Unterstützung von Audio-Dateien der Amazon-Hörbuchtochter Audible, für die bis zu 32 Gbyte Speicherplatz bereitstehen, erlebte außerdem eine schon vom 2007 veröffentlichten ersten Kindle bekannte Funktion eine Wiedergeburt.
Bei der digitalen Lektüre gibt es ebenfalls wenig Neues, eBooks haben sich über die Replikation von Print-Inhalten hinaus auch im Jahr 10 des eBook-Massenmarktes noch nicht zu einer eigenständigen Gattung entwickelt. So wie sich aufwändig multimediale "angereicherte" eBooks schon um 2010 als kostspieliges Experiment ohne echte Nachfrage erwiesen, versenkte Bastei Lübbe in den letzten beiden Jahren mehrere Millionen Euro mit seiner Geschichten-Häppchen-App Oolipo, bei der im November recht unvermittelt der Stecker gezogen wurde. Selbst neue Geschäftsbereiche kennt man aus dem Analogen bereits seit Jahrzehnten – so ist das 2016 in den USA und 2017 in Deutschland eingeführte Prime Reading ebenso wie Tolino Select nicht mehr als ein konventionelles (Buch-)Clubmodell mit digitalen statt ausgedruckten Inhalten.
Wie entwickelt sich der E-Reading-Kosmos im Jahr 2018 weiter? Die ganz großen Umwälzungen zeichnen sich nicht am Horizont ab, trotzdem dürften wir von den nächsten 12 Monaten einige interessante neue Impulse erwarten.
Tolino bekommen Audio-Funktion, Kindle bekommt Blaulichtfilter
Seit Jahren sind Hörbücher ein wesentlicher Wachstumstreiber des deutschen Buchmarktes. Dem tragen auch die großen deutschen Buchhändler mit zusätzlichen Verkaufsflächen, Online-Promotionen und neuen Angeboten Rechnung; genannt sei Thalia mit seinem Hörbuch-Spartarif (ehemals Hörbuch-Abo). Da ist es nur folgerichtig, wenn auch die Tolino-Lesegeräte zu Abspielstationen für Hörbücher und Hörspiele gemacht werden, wie es Amazon mit seinem Kindle Oasis 2 (2017) vorgemacht hat.
Umgekehrt könnte der Blaulichtfilter, der bei aktuellen Mobile-Betriebssystemen (Android, iOS) ebenso wie bei den High-End-Tolinos Epos und Vision 4 HD ist, auch in der Kindle-Familie Einzug erhalten. Mit der Veröffentlichung eines ersten wasserdichten eBook Readers im Jahr 2017, lange nach der Konkurrenz, hat Amazon bewiesen, dass auch der Pionier sich manchmal etwas mehr Zeit bei der Adaption neuer Merkmale lässt. Debütieren könnte der Blaulichtfilter in einem neuen Kindle Voyage; das aktuelle verkaufte Modell hat bereits mehr als 3 Jahre auf dem Buckel.
eBook Reader bleiben graustufig
Seit Jahren experimentieren E-Reading-Anbieter mit farbigen E-Paper-Panels. Zumeist in den Hinterzimmern – wenn dann doch einmal ein Modell mit farbigem Panel in den Handel gebrachte wurde, enttäuschte es bislang immer mit miesen Kontrasten und ausgewaschenen Farben (Pocketbook Color Lux).
Schon im Jahr 2013 kaufte Amazon mit Liquavista ein Unternehmen, das flexible farbige E-Paper-Displays entwickelt. Marktreife Produkte mit einem solchen Panel haben wir bislang noch nicht gesehen, und es deutet auch nichts darauf hin, dass sich das ändert. Und E-Ink sieht seine farbigen Panels offenbar selbst eher in Wearables und im Handel (Präsentationen, Produktinfo-Schilder und dergleichen) als in Lesegeräten.
Farbiges E-Paper hätte nur eine Daseinsberechtigung, wenn es die gleiche farbige Brillanz wie LCD-Panels (oder sogar OLED-Panels) mit schnellen Reaktionszeiten und einem Kontrastverhältnis kombinieren würde, wie es die aktuelle E-Ink-Carta inzwischen erreicht hat. Derzeit macht es nicht den Anschein, als hätten die Hersteller überhaupt ein Interesse daran – die Entwicklungs-Budgets fließen eher in andere Bereiche. Für Sachbücher mit farbigen Abbildungen und für die große Comic-/Manga-Community, die Amazon in Japan sogar mit einem eigenen Kindle-Modell bedient, bleibt somit auch 2018 nur kompromissbehaftetes Lesen auf Graustufendisplays – oder gleich der Griff zu einem Tablet oder 2-in-1-Convertible.
XL-Lesegeräte boomen weiter
Schon 2009 debütierte mit dem Kindle DX ein eBook Reader mit 9,7-Zoll-Display, auf dem auch nativ großformatige Inhalte eine gute Figur machen. Mit dem Tablet-Boom verschwanden die XL-Modelle aus den Lineups der eBook-Reader-Hersteller, erlebten in den letzten drei Jahren aber eine bemerkenswerte Renaissance.
Der 2014 erschienene Kobo Aura H2O wurde zu einem überraschenden Verkaufserfolg, dem erst seitens Kobo selbst und 2017 auch von Amazon und Tolino (via Kobo) weitere XL-Lesegeräte an die Seite gestellt wurden. Zum "Sweet Spot" zwischen Mobilität und Bildschirmplatz scheinen hier Bildschirmdiagonalen von 7″ bis 8″ zu werden, womit sich eBook Reader größentechnisch wieder etwas von Smartphones absetzen, die in den letzten Jahren nah ans 6-Zoll-Standardformat dedizierter Lesegeräte herangerückt sind.
Eine der wenigen wirklichen E-Paper-Innovationen des Jahres 2017 spielte sich dann auch im XL-Segment ab und kam nicht etwa von einem der "Großen", sondern vom norwegischen Startup Remarkable. Das gleichnamige ultradünne "Papiertablet" mit einer Bildschirmdiagonale von 10,3″ begeisterte Fachpresse wie Käuferschaft und könnte dafür sorgen, dass der digitale Zeichenblock tatsächlich doch noch Realität wird. In die gleiche Kerbe schlagen auch LCD-Geräte an der Schnittstelle von Tablet und PC wie das iPad Pro und das Surface Pro von Microsoft, das 2018 möglicherweise doch noch ein klappbares Gerät im Buch-Formfaktor (Microsoft Courier) in den Handel bringt. Ob LCD oder E-Paper, wird auch hier zur Geschmacksfrage: Will man als Anwender maximalen Fokus auf statische Inhalte, oder doch etwas mehr Flexibilität in der Nutzung?
Durchschnittspreis dedizierter Lesegeräte steigt
Das erfolgreichste Tolino-Modell des letzten Jahres war auch das Teurerste: Keinen anderen eBook Reader verkaufte Thalia so häufig wie den Tolino Vision 4 HD (UVP: 179 Euro), wie Thalia-Chef Michael Busch im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse mitteilte. Und kurz darauf mit dem Tolino Epos ein neues Premium-Lesegerät zum regulären Verkaufspreis von 249 Euro präsentierte. Zur Erinnerung: Der erste Tolino, der Tolino Shine, kam im Frühjahr 2013 für 99 Euro in den Handel.
Wer im Jahr 2018 noch zu einem dedizierten Lesegerät greift, will auch ein klares Komfort- und Anzeigeplus zu den allgegenwärtigen Smartphones und günstigen Tablets. Und Merkmale wie ein E-Ink-Carta-Retina-Panel und ein Blaulichtfilter – was herstellerseitig nichts anderes bedeutet als eine doppelt zu integrierte Beleuchtung – kosten Geld und machen sich im Verkaufspreis bemerkbar. Womit ein großer Teil der Leserschaft offenbar auch prima leben kann – für alle weiteren behalten auch günstigere Lesegeräte wie Tolino Shine 2 HD und Kindle Paperwhite ihre Daseinsberechtigung.
eBooks: Flatrates werden nicht allgegenwärtig, Eigen-Anteil wächst
Indie-Autoren, die ihre eBooks der Amazon eBook Flatrate Kindle Unlimited bereitstellten, benötigen eine große Frustrationstoleranz: In den letzten anderthalb Jahren hat sich die Vergütung pro gelesener Seite fast halbiert. Wer die Vergütung für die Rechteinhaber konstant hält, wird hingegen von den Sehr-Viel-Lesern vor allem im Romance-Bereich aufgefressen, wie der Niedergang von Scribd zeigt, der einstigen Nummer 2 weltweit. Und in Deutschland steht die werbefinanzierte gratis eBook Flatrate Readfy vor dem Aus, weil die Rechnung "Werbung gegen Inhalte" vorne und hinten nicht aufgeht.
Nicht ohne Grund hat Tolino zur Buchmesse mit Tolino Select nicht etwa eine weitere Flatrate eingeführt, sondern ein sehr viel besser kalkulierbares Abo-Modell (mit allerdings überschaubarer Attraktivität). Die eBook Flatrate Skoobe kann noch etwas anders kalkulieren, weil sie aufgrund ihrer Gesellschafterstruktur (Random House, Holtzbrinck) wohl kaum marktübliche Preise für Inhalte zu zahlen hat – auch hier sind aktuelle Top-Titel, wie sie im Musikbereich bei Spotify & Co. Usus sind, allerdings absolute Mangelware.
Dieser Trend wird sich auch 2018 fortsetzen – für Verlage ergibt es schlicht keinen wirtschaftlichen Sinn, ihre deutlich lukrativeren Verkäufe durch eine Bereitstellung von Neuerscheinungen für eBook Flatrates zu kannibalisieren. Indie-Autoren indes kamen bislang kaum an Kindle Unlimited herum, wollten sie Sichtbarkeit auf der E-Reading-Plattform von Amazon und damit auch Verkäufe haben, weil Amazon für die Charts Leihen wie Käufe wertet. Sollte Tolino weiter erstarken, könnte sich das allerdings noch ändern.
eBook Flatrates haben auch weiterhin ihre Daseinsberechtigung für Sehr-Viel-Leser (mehrere Bücher pro Woche), die dann allerdings aus einem begrenzten Angebot auszuwählen haben. Das ist im Musikbereich anders, bei Filmen und Videos allerdings genauso – bei Netflix und Prime Video ist auch nur ein Ausschnitt des Gesamt-Angebots zu finden. Darunter übrigens ein immer größerer Anteil von Eigenproduktionen, die Amazon mit seiner Verlagssparte Amazon Publihshing ja auch schon seit längerem im Buchbereich forciert und die innerhalb von Kindle Unlimited, aber auch generell auf der Kindle-Plattform im Jahr 2018 mehr und mehr in den Mittelpunkt rücken. Keine gute Nachrichten für Verlage und vor allem Indie-Autoren, für die der Kampf um Sichtbarkeit nicht leichter wird.
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