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Gutenberg.org Sperre für Deutsche: Nur Verlierer

Die weltweit beliebteste Online-Sammlung kostenloser eBooks, das Project Gutenberg, ist für deutsche Lesefreunde gegenwärtig nicht mehr ohne Weiteres zugänglich. Infolge eines verlorenen Gerichtsprozesses gegen den Verlag S. Fischer entschieden sich die Betreiber des Portals zu einer drastischen Maßnahme, die bis auf Weiteres gilt. Der Verlag wehrt sich. Recht haben beide Seiten, trotzdem gibt es nur Verlierer.

Mehr als 56.000 kostenlose eBooks stehen auf Gutenberg.org zum Download bereit, darunter mehrere Hundert deutschsprachige Bücher. Auf dieses seit 1971 (!) gemeinnützig zusammen getragene Gratis-Angebot haben Internet-Nutzer mit einer deutschen IP-Adresse seit einigen Tagen allerdings keinen Zugriff mehr.

Deutsche vs. amerikanische Gesetzgebung

Eines der beanstandeten Bücher

Hintergrund ist ein Urteilsspruch des Landgerichts Frankfurt von Mitte Februar, vor dem der S. Fischer Verlag (gehört zur Verlagsgruppe Holtzbrinck) gegen die Project Gutenberg Literary Archive Foundation geklagt hatte. Vor Gericht wurde S. Fischer übrigens von der berüchtigten Abmahn-Kanzlei Waldorf Frommer vertreten.

Juristischer Streitpunkt waren 18 auf Gutenberg.org verfügbare Romane von Heinrich Mann, Thomas Mann und Alfred Döblin, die nach US-amerikanischer Rechtssprechung (56 Jahre nach Publikation bei vor 1978 publizierten Titeln) gemeinfrei sind, nach deutscher Rechtssprechung (70 Jahre nach Tod des Autoren) aber noch nicht. Der gemeinnützige Betreiberverein von Gutenberg.org wurde vom Landgericht Frankfurt dazu verurteilt, dafür Sorge zu tragen, dass die Bücher nicht mehr für deutsche Nutzer zugänglich sind.

Die Betreiber von Gutenberg.org entschieden sich gegen eine Auslistung der beanstandeten Bücher und für eine GEO-Blockade für Nutzer mit deutscher IP-Adresse – und zwar nicht nur der 18 Titel, sondern sämtlicher Titel. Die Hauptseite ist zugänglich, beim Versuch auf eine Download-Seite zu gelangen erhalten Deutsche dann aber eine "deine IP-Adresse ist blockiert" Nachricht mit einem kurzen englischsprachigen Infotext plus Verweis auf eine längere Erklärung.

Komplett-Blockade als "temporäre" Vorsichtsmaßnahme

Erklärung auf Gutenberg.org

In dieser Erklärung betonen die Betreiber, die Romane seien in den USA, dem Sitz von Gutenberg.org, gemeinfrei. Nur das sei wesentlich für die Verfügbarmachung. Die Komplett-Blockade sei eine Vorsichtsmaßnahme – man habe allen Grund zur Annahme, der Verlag werde "mit Hilfe deutscher Gerichte" weitere Titel beanstanden. Die Sperrung im Heimatland ihres Namensgebers soll laut der Gutenberg Foundation nur temporärer Natur sein, ein exakter Zeithorizont wird aber nicht genannt.

Am gestrigen Montag hat sich dann auch S. Fischer zu Wort gemeldet – mit einem Versuch, den schwarzen Peter zu Gutenberg.org zu schieben. Deren Komplett-Blockade deutscher Lesefreunde lege den Schluss nahe, dass man (= Gutenberg.org) die Nutzer instrumentalisieren und zu Protesten gegen den Verlag veranlassen will, weil man das Urteil eines Gerichts nicht akzeptieren möchte.

Tatsächlich fegt aktuell in den Online-Kommentarspalten und im Social Web ein veritabler Shitstorm über S. Fischer hinweg. Dabei hat der Verlag nicht mehr gemacht, als deutsches Recht durchzusetzen.

Ausweg ungewiss

Unter dem Strich handeln beide Parteien nachvollziehbar, trotzdem gibt es nur Verlierer. Der S. Fischer Verlag hat einen sicherlich längerfristigen Repurtationsschaden erlitten, ohne wirklich etwas gewonnen zu haben – die Umsatzverluste durch die Gratis-Verfügbarkeit der 18 betroffenen Titel dürften nahe Null gewesen sein. Auf Gutenberg.org kommen juristische Kosten zu, die die sicherlich nicht allzu prall gefüllten Kassen weiter belasten und anderswo besser investiert wären, und deutschen Lesefreunden ist der Zugriff auf das weltbeste Angebot kostenloser eBooks verwehrt (wenn sie sich nicht behelfen).

eBook-Download-Seite lul.to: War irgendwo auf der Welt sicherlich auch legal

Die Sympathien sind in diesem Fall sehr klar verteilt, weil Gutenberg.org eine vorbildhafte und über jede rechtlichen Zweifel erhabene Seite ist und die beanstandeten Titel "gefühlt" eben schon lange genug geschützt waren. Aber wie sähe es mit einer mit Werbung vollgemüllten Download-Seite aus, die von einem exotischen Karibikparadies aus operiert, wo man überhaupt kein Urheberrecht kennt oder selbiges schon beispielsweise 5 Jahre nach Werk-Erschaffung erlischt? Deren Betreiber könnten exakt so argumentieren wie Gutenberg.org – laut lokaler Gesetzgebung ist der Betrieb legal, ausländische Nutzer müssten von sich aus Sorge tragen, dass sie nicht gegen ihre jeweiligen Gesetze verstoßen.

Umgekehrt ist es von Gutenberg.org natürlich auch viel verlangt, Dutzenden unterschiedlichen Rechtssprechungen zu genügen, die im Bezug auf die Gemeinfreiheit teilweise noch deutlich über die EU-weite 70-Jahre-nach-Tod-des-Urhebers-Frist hinausgehen. In Mexiko etwa beträgt die Schutzfrist 100 Jahre. Sollte sich Gutenberg.org an der weltweit längsten Frist orientieren oder etwa für jedes Land eigene GEO-Blockaden errichten?

Ein Ausweg aus dieser vertrackten Situation ist ungewiss. Rückblickend wäre es sicher klug von S. Fischer gewesen, das juristisch unrechtmäßige Angebot der Handvoll Titel auf Gutenberg.org stillschweigend zu dulden. Jetzt, wo die literarische Kuh auf dem juristischen Eis ist, wird die Holtzbrinck-Tochter aber mit Sicherheit keinen Rückzieher machen. Und die Gutenberg Foundation muss befürchten, bei einer Niederlage vor Gericht oder gar einem Einknicken von Blockade-Forderungen aus aller Welt überhäuft zu werden. 

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Kommentare


Thomas Cordts 9. März 2018 um 18:18

Einen Gewinner gibt es wohl doch. Die Abmahnkanzlei. Schade.

Antworten

Mike 10. März 2018 um 18:04

Nach den Paragraphen hat der Verlag zweifellos Recht. Nur was nutzt ihn das?

Selbst wenn der damit verbundene Imageverlust nicht eingetreten wäre, hätte der Verlag dadurch keine Umsatzsteigerung erreicht. Das Verhalten erinnert an den gelangweilten Rentner, der durch sein Stadtviertel zieht und falsch geparkte Autos der Polizei meldet.
Als Verlag zu überleben ist heute sicher schwer. Wer aber die Zeichen der Zeit so wenig versteht, wem es nicht gelingt, die Entwicklung unserer Welt in seine Geschäftskonzepte zu integrieren, hat schon fast keine Existenzberechtigung mehr. Das Urheberrecht als einzige Geschäftsgrundlage reicht einfach nicht mehr aus, egal was die Gesetze sagen.
Durch die rasante Entwicklung (ob man sie gutheißt oder nicht) ist ein großer Spalt entstanden, zwischen der Gesetzgebung einer ganz anderen Zeit und den heutigen Bedingungen. Von diesem Spalt leben heute einzig und allein die Abmahnanwälte, wie der des Fischer-Verlages. Er ist der einzige, der von diesem Urteil profitiert.
Nationale Rechtsprechung und Globalisierung sind nicht unter einen Hut zu bringen, das sehen wir in allen Rechtsbereichen. Bis hier neue Konzepte entstanden sind (die man sich auch gut für das Urheberrecht vorstellen kann), ist Kreativität und Anpassungsfähigkeit gefragt. Junge Firmen zeigen jeden Tag, dass das geht. Aus Verzweiflung über die Entwicklung blind um sich zu schlagen, ist sicher die dümmstmögliche Reaktion.

Ich persönlich bin dem S. Fischer-Verlag dankbar. Ohne ihn wüsste ich nichts über ein VPN Plug-in und das Gutenberg-Projekt ist wieder ein wenig bekannter geworden.

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Sören 12. März 2018 um 20:06

Man kann doch nicht jedes Mal, wenn einem ein Gesetz nicht gefällt die Globalisierung bemühen. Es handelt sich hier auch nicht um in ein oder zwei Jahren auslaufende Urheberrechte irrelevante Autoren, sondern um teils noch Jahrzehnte laufende Longseller. Ich gehe zwar auch nicht davon aus, dass Fischer durch Gutenberg Verluste macht, denn diese Werke sind in eigentlich jeder Kleinstadtbibliothek zu bekommen, auch über die OnLeihe uund auch über Entsprechende Angebote in den USA auf Deutsch. D.h. aber auch, dass Gutenberg sich hier nicht als Robin Hood der Deutsch lesenwollenden Amerikaner inszenieren kann. Es gibt öffentliche Angebote, die den Zugang sicherstellen. Gutenberg hätte die Werke nicht einmal auslisten müssen, eine Blockade für Deutschland hätte gereicht – das können sie ja wohl. Oder aber man kämpft sich durch die Instanzen, Spenden dürften genügend zusammenkommen. Dass Fischer für die Verteidigung eines Rechtes, ohne dass es wahrscheinlich sehr viel weniger Literatur gäbe, weil das Aufbauen von Autoren sich einfach nicht lohnen würde, jetzt einen Shitstorm erntet, den Gutenberg dirigiert, indem es alle Deutschen sozusagen in Haftung nimmt, ist alles andere als in Ordnung.

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Romanow 14. März 2018 um 19:46

Es ist einfacher, schneller und billiger erstmal eine IP-Sperre einzurichten.
Um einzelne Werke je nach Nutzerland unterschiedlich anzubieten muss die Datenbank entsprechend gestaltet und auch alle nötigen Daten eingepflegt werden.
Das wird Zeit und Geld erfordern.
Eventuell steigt die benötigte Rechenleistung der Hardware.
Jetzt ist es der Fischer-Verlag mit seinen Rechten aber grundsätzlich wird die Problematik das die Werke in der USA nicht mehr geschützt sind auch eine ganze Reihe andere Bücher betreffen.
So gesehen kann ich das Vorgehen von gutenberg.org verstehen.

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Mike 15. März 2018 um 12:13

Die Globalisierung muss man nicht erst bemühen, sie ist eine existierende Tatsache mit großen Auswirkungen in allen Bereichen.
Und aufgebaut werden neue, gute Autoren nicht von den Großverlagen, sondern von mutigen, innovativen kleinen Verlagen, die erstaunlicherweise mit den modernen Entwicklungen wesentlich besser zurechtkommen als die Dinosaurier der Branche. Die kommen erst ins Spiel, wenn es darum geht, einen von den Kleinen aufgebauten Autor, risikolos in die eigene Profitmaschine einzugliedern.
Niemand, selbst der vehementeste Verfechter eines neuen Urheberechts, wird der Meinung sein, dass Leistung nicht bezahlt werden soll. Es ist aber keine Leistung, 100 Jahre auf einem willkürlichen Recht zu sitzen und es wie eine gottgegebene Ressource auszunutzen.
Und es geht um mehr: Es geht um die Monopolisierung einer Kunst. So wie Sony sich den Weltmarkt an Musik, eben durch seine Rechte-Politik, unter den Nagel gerissen hat und damit eine, noch nie dagewesene, Verflachung des Musik-Vielfalt erreicht hat (neben der auch nur noch kleine, innovative Labels ein winziges Gegengewicht stellen), so sind auch die Bestrebungen der Großverlage.
Der Begriff „Bibliodiversität“ ist heute entstanden, weil die Vielfalt in Gefahr ist. Je mehr Macht wir den großen Verlagen zubilligen, umso größer diese Gefahr. Und wie bei der Musik, begründet sich diese Macht auf den Gesetzen über die Rechte. Wer die Vielfalt in der Literatur, die zu Papier gebrachte Meinungsfreiheit und eine Existenzberechtigung für das Neue in der Literatur erhalten möchte, muss sich darum gegen diese Machtbestrebungen stellen.
Große Verleger sind keine Literaturliebhaber mehr (so wie es sie einmal gab), sondern Kaufleute, die unter dem Druck ihrer Banken, angeleitet von „Marketing-Experten“, gegen die kleine Konkurrenz kämpfen und den maximalen Gewinn aus dem Medium Buch herausholen wollen. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist eben ein Kollateralschaden.

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Julia 22. März 2018 um 09:07

Es geht um 2, 7 und 9 Jahre

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Julia 22. März 2018 um 09:08

Das war als Antwort auf " Es handelt sich hier auch nicht um in ein oder zwei Jahren auslaufende Urheberrechte irrelevante Autoren, sondern um teils noch Jahrzehnte laufende Longseller" gedacht.

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Thomas K. 18. Juni 2018 um 10:14

>>Es handelt sich hier auch nicht um in ein oder zwei Jahren auslaufende Urheberrechte irrelevante Autoren, sondern um teils noch Jahrzehnte laufende Longseller.<<

Nicht Jahrzehnte: bei den beanstandeten Autoren handelt es sich um Urheberrechte, die in 2 bis 9 Jahren (also nicht einmal *ein* Jahrzehnt!) auslaufen. Und seit 1989 gilt in den USA sowieso ein Copyright, das ebenfalls erst 70 Jahre nach dem Tod des Autors abläuft.

Und nicht einmal alle beanstandeten Bücher sind bei Fischer als E-Book erhältlich.

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Werner 17. März 2018 um 21:46

Die Umgehung über andere VPN funktioniert anscheinend nicht bei Telekom -Routern. Oder nicht bei Android-Tablets. Habe viel Zeit mit Herumprobieren verloren.
Dem S.Fischer-Verlag werde ich in diesem Leben wahrscheinlich nichts mehr abkaufen.

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Nordweg 11. März 2018 um 19:18

Dass die Verlage durch die neuen digitalen Medien unter großem Druck stehen, ist mir durchaus nachvollziehbar. Wenn der S. Fischer Verlag eine gemeinnützige Organisation wie Gutenberg verklagt, kämpft er aber ganz sicher an der falschen Front. Hilfloser kann ein großer Verlag wohl nicht mehr agieren, anscheinend steht das Wasser schon bis zum Hals.

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Liesbert Buchhaber 13. März 2018 um 19:10

das Wahlrecht erlischt mit dem Tode des Wahlberechtigten – warum sollte das Urheberrecht länger gelten?
wegen der Erben?!?
Wie lange gilt denn ein Industriepatent? Zwanzig Jahre? Warum sollte das Urheberrecht länger gelten?

gut, das mit dem Wahlrecht ist ein hinkender Gaul, weil dies ein (nicht nur) demokratisches Grundrecht ist und das Urheberrecht ein Schutz für eine Leistung, aber die Regelung mit »Erlöschen im Todesfalle« ist definitiv autorenfreundlicher als der folgende Vorschlag: der auf einer individuellen Leistung beruhende Patentschutz ist sehr wohl mit dem Urheberrecht vergleichbar – ich plädiere auf Verfallen des Urheberrechtsschutzes nach Ablauf von zwanzig Jahren nach Erstveröffentlichung…

<i>*popcorn bereitstell* »mögen die Spiele beginnen«</i>

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Pia 21. Juli 2018 um 11:15

Es dürfte ganz hilfreich sein, die Begründungsseite auf gutenberg.org genauer durchzulesen — sofern man Englisch versteht. Dann wird einen das kalte Grauen packen. Die Kläger verlangten ja nicht nur Schadenersatz: nein, sie wollten auch die IP-Adressen aller deutschen Nutzer ausgehändigt haben, welche die betreffenden Werke von Mann/Mann/Döblin heruntergeladen haben.

Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Wie mir scheint, hat der Fischer-Verlag sich im Verein mit den Abmahnanwälten eine hübsche Einnahmequelle davon versprochen, eine Abmahnwelle gegen deutsche Internet-Nutzer loszutreten.

Und wenns funktioniert hätte, wären ihnen zweifellos bald noch weitere Bücher und deren deutsche Nutzer bei gutenberg.org zum Opfer gefallen — die Abmahnwelle hätte sich mit etwas Geschick in einen Tsunami verwandeln lassen.

Daraus wird ja nun wohl nichts. Danke, gutenberg.org, dass ihr die deutschen Leser vor solchen Machenschaften durch eine Totalsperre in Schutz genommen habt.

Ich kaufe mit Sicherheit nie wieder ein Buch oder eine Zeitung der Holzbringgruppe.

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Max Alt 31. Juli 2018 um 06:59

Ich habe das vor kurzem erst mitbekommen. Bei Gutenberg steht, welche Anwälte da im Spiel waren für den Fischer-Verlag – eine berühmt-berüchtige Abmahnkanzlei. Wenn die sich hier benommen haben wie sonst auch … Jeder kommt mit dem Anwalt, der zu ihm passt. Das musste ein Rohrkrepierer werden. Verzockt.

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werner 18. Januar 2020 um 18:28

Schade! Ich habe oft und gern im Projekt Gutenberg gelesen. Warum sind die Verantwortlichen dort nicht in der Lage, sich an die Sperrfristen einzelner Länder zu halten und sich danach zu richten? Was ist daran so schwer? Im Interesse der zahlreichen Leser sollte vom Fischer-Verlag, aber auch vom Projekt Gutenberg schnell eine leserfreundliche Lösung gefunden werden. Beide Seiten könnten mal zeigen, dass nicht nur Geld die Welt regiert. Wann darf ich wieder kostenlos lesen?

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hutmacher 7. April 2020 um 18:44

ich lese sehr gerne bücher.nichzt nur wärend der coronazeit.

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Bernd E. Scholz 12. April 2021 um 22:04

Fluch und Segen der Technik: mit dem Smartphone über WLAN das Projekt G. aufgerufen, und siehe da, es funktioniert ohne deutschen Generalstaatsanwalt, da keine IP übertragen wird. Der Umweg über ein ohnehin empfehlenswertes VPN entfällt auf diese Weise. Als Telefunken 1954 das erste Tonbandgerät herausbrachte, brach eine viel verrücktere Diskusssion über das "Kunstwerk im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit" aus, die schließlich zur Abgabe auf jedes verkaufte Tonbandgerät führte und danach ebenso bei den Photokopiergeräten. Viel schlimmer ist aber, dass obskure US-Datenhändler ganze wissenschaftliche deutsche Zeitschriften aufgekauft haben, so dass man bei Fernleihbestellungen einzelner Aufsätze aus längst vergangenen Tagen u.U. zur Kasse gebten wird. Für die wissenschaftlichen Bibliotheken ein Alptraum, für das Prinzip der Allgemeinzugänglichkeit von Information der Totschlag. Dass dabei niemand mehr weiß, wie eigentlich die berechtigten materiellen Interessen des geistigen Urhebers geschützt werden sollen, macht das Leben nicht einfacher. Wer’s testen möchte, werde Mitglied bei "Nationallizenzen", was jedem Bundesbürger offen steht. Etwas schlechter Programmiertes als dieses Durcheinander findet sich wohl nur noch bei der vom Bund Mitte 2020 mit 60 Millionen Euro geförderten und jetzt März 2021 so gut wie wieder eingemotteten Corona-App.

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Sönke Noack 29. Juli 2021 um 10:30

Das Vorgehen des S. Fischer Verlags, seine Rechte zu schützen, ist legal und legitim zugleich.
Jede andere Bewertung beinhaltet doch eine Einschätzung, dass sich eine Vereinigung über in anderen Ländern geltende Regelungen hinwegsetzen dürfte. Bitte einmal sich vergegenwärtigen, was das hieße in einem einen persönlich ungüngstig betreffenden Fall.

Was das Project Gutenberg hier macht – und es handelt sich ja nicht um eine kurzfristige Abhilfe – wirkt auf mich wie ein beleidigtes Kind. Man hätte mittlerweile durchaus ältere gemeinfreie Werke wieder zugänglich machen können.
Für ein gemeinnütziges Projekt, als solches sich der Verein ja versteht, werden hier also Werke, ja auch von deutschen Autoren geschaffene und von deutschen Nutzern eingepflegte der Welt zugänglich gemacht – nur eben deutschen Lesern und Nutzern nicht mehr.
Mir fällt dazu nur der unvergleichliche italienische Lyriker Giovanni Trapattoni ein: "Was erlauben Project Gutenberg?!"
Auch hier gilt allerdings, dass das Projekt legal und legitim operiert. Ob moralisch einwandfrei – m. E.: nö.
Ein Vorteil hier beim Verlag: dieser muss sich als privatwirtschaftl. Unternehmung einer moralischen Bewertung nicht in gleicher Hinsicht unterziehen.
Zweierlei Maß also, und zu Recht.

Das sich der S. Fischer Verlag bzw. dessen anwaltliche Vertretung offenbar nicht nur der Rechtewahrung, sondern auch der Bereicherung (Herausgabe von Nutzer IP-Adressen) zu befleißigen suchte, steht für mich auf einen ganz anderen Blatt.
Den Folgerungssträngen mancher Gerichtsurteile, wann ein unternehmerischer Schaden durch eine "Raubkopie", zumal eines "geistigen Werks" , entstünde, konnte ich schon oft nicht wirklich nachvollziehen.
Die Schützungswertheit von geistigen Eigentum will ich dabei nicht in Frage stellen.
Nur der privatschaftlich angenommene Schaden, von dem man dann lesen kann, der vermeintlich verursacht wurde und somit auszugleichen sei – nein, das halte ich vielfach für nicht nachvollziehbar.

Meinen Dank an Bernd Scholz und seine interessanten Einlassungen zum erweiterten Thema.

Für weiterhin am Inhalt vom Project Gutenberg interessierte deutsche Lesende:
z. B. Hotspot Shield

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Physical Sales 17. Januar 2022 um 23:28

Es geht nicht darum, dass der Fischerverlag seine Rechte in Anspruch nimmt, sondern, zu welchem Preis.

Ohne Vorwarnung ein Rechtsverfahren mit hohen Kosten für eine gemeinnützige Institution anzustoßen, die sich wahrscheinlich gar nicht über einen Rechtsbruch bewusst gewesen ist, sollte nicht Usus werden, das wäre im Zeitalter des Internet schlimm und gefährlich.

Stellt Euch bitte vor, Ihr wollt einen kleinen Internetdienst auf die Beine stellen und müsstet Euch mit sämtlichen in Frage kommenden Gesetzen aller Länder, in denen auf diesen Dienst zugegriffen werden könnte, auseinandersetzen, um nicht in irgendeine internationale, kostenintensive Abmahnfalle zu tapsen. Sollen Projekte mit guten Absichten – wie eben Gutenberg.com – von vorn herein an sowas scheitern? Dann wäre das Internet nur noch für große Unternehmen händelbar und Monopolen wären Tür und Tor geöffnet.
Viele Innovationen sind nur durch die große Internetgemeinde möglich geworden (Open Source, Home-Office, Social Media, Linux, Smartphones, Online-Updates, Online-Banking, Online-Shopping, Online-Wissen, …).

Nehmen wir mal an, Wikipedia, das inzwischen eine wichtige Wissensbasis für Schüler, Studenten, Firmen usw. bereitstellt, hätte sein Netz wegen der Kosten durch Verfahren wie eben diesem hier nicht mehr betreiben können…

Hätte Fischer nicht erst mal bei Gutenberg anklopfen und darauf hinweisen können, dass die Bücher in Deutschland noch nicht gemeinfrei sind und erst, wenn das nichts nützt, mit dem Anwalt kommen?
Wenn ich vergesse, eine Rechnung zu bezahlen (oder die evtl. gar nicht erhalten habe), ist es doch auch gute Sitte deutscher Unternehmen, vor der Mahnung erst mal eine freundliche, kostenlose Erinnerung zu verschicken, oder?

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