Eigentlich war ich schon fertig mit dem Buch, da kommt das Fräulein vom Verlag und sagt: «Frau Bergmann, da müssen wir noch mal dran. Wir müssen die Figuren vorstellen, damit die Leser gleich verstehen, worum es geht.»
Figuren! Da geht mir der Hut hoch. Das sind meine Familie, meine Freunde und Bekannten! Aber die Gute hat ja recht, es ist wohl besser, wenn ich Ihnen kurz erzähle, mit wem Sie es hier zu tun kriegen. Wissense, nichts ist einem ja unangenehmer, als wenn man auf einer Feier oder einer Beerdigung Leute trifft und sie einem nicht vorgestellt werden. Da weiß man gar nicht, was man von den Menschen denken soll. So soll es Ihnen nicht gehen:
Gertrud Potter
Gertrud ist 82 und meine beste Freundin. Sie ist ein Pfundskerl, und ich kann immer auf sie zählen. Gertrud ist verwitwet, aber nur einmal. Wir sind wohl gut befreundet, jawoll, aber wenn es um Männer geht, waren wir immer Konkurrentinnen: Wenn Silvester 1962 nicht die Extraflasche Korn in der Bowle gewesen wäre, hätte sie sich Wilhelm von Morskötter geangelt. Gertrud hatte die Bluse schon zwei Knöpfe weit auf und knallroten Lippenstift dran. Aber nach ein paar Tassen Bowle lag sie in der Speisekammer unter den frisch geräucherten Leberwürsten, während Wilhelm und ich einen Spaziergang bei Mondschein machten.
Gertrud hat keinen echten Sinn für Schönes, wissense. Sie hat zusammengestoppeltes Besteck und Geschirr. Auf den Messern steht «Lufthansa», «Mitropa» oder «Palast der Republik». Woher sie die Messer hat, ist mir bis heute ein Rätsel. Sie ist noch nie geflogen.
Aber jetzt bin ich schon mitten im Erzählen, dabei wollte ich doch nur kurz ein paar Worte zu den wichtigsten Personen sagen. Entschuldigen Sie.
Aus Ich bin nicht süß, ich hab bloß Zucker