Manche nannten Rom die Ewige Stadt, doch Andrej hatte nie wirklich verstanden, warum. Für die einen war sie ein Moloch, der zum Leben erwacht war und die Menschen nur noch brauchte, um immer weiterzuwachsen und dem Verfall Einhalt zu gebieten, für andere war sie der Ort auf Erden, an dem der Mensch in seiner sterblichen Form Gott am nächsten kommen konnte. Und schließlich gab es da noch die, für die diese Stadt das Zentrum des reinen Bösen auf der Welt darstellte, der Ort, an dem der Mensch seine Raffinesse zur Perfektion getrieben hatte, seinen eigenen Machtanspruch mit dem angeblichen Willen eines Gottes zu untermauern, der von seiner Existenz vermutlich ebenso wenig Notiz nahm wie der Mensch von dem Gras, das er achtlos unter seinen Schritten zertrat.
Für Andrej war sie vor allem eines: schmutzig. Der Tiber war eine Kloake, gespeist aus unzähligen Abwasserkanälen, voller Dreck und Unrat, den die Bewohner hier bedenkenlos entsorgten. Andrej hatte vergessen, wie Städte riechen, aber während ihrer kriechend langsamen Fahrt über die Lebensader Roms Richtung Isola Tiberina erinnerte er sich wieder, warum Abu Dun und er es vorzogen, sich in der Wüste oder den endlosen Steppen des Ostens oder in der Einsamkeit des Gebirges aufzuhalten.
Aus Nekropole