5 E-Reading-Vorhersagen für 2015
Nachdem wir im Vorjahr mit unseren Vorhersagen nahezu beängstigend richtig lagen, wagen wir erneut einen Blick in die Glaskugel. Diese Themen werden das E-Reading-Jahr 2015 bestimmen – und für diese Unternehmen wird es schwierig.
Vor ziemlich genau einem Jahr prognostizierten wir unter anderem "Das Ende der Sony Reader", eine Fortsetzung des Trends zu größeren, dünneren, leichteren und schärferen Lesegeräten und erste Risse in der Tolino-Allianz. Zwölf Monate später hat Sony seine Endkunden-Sparte aufgegeben, Bertelsmann seinen Abschied aus dem Club-Geschäft verkündet und wir haben Lesegeräte wie den 6,8-Zoller Kobo Aura H2O und den leichten und extrascharfen Kindle Voyage.
Auch der vermutete Trend zu noch mehr Preisaktionen trat ein. So gibt es bei Amazon derzeit gleich 28 eBooks im Kindle Deal der Woche (und auch sonst immer mindestens 12 – vor einem Jahr waren es noch 4), plus 12 eBooks im Kindle Deal des Monats, plus 700 englische eBooks für je unter 2 Euro ("Kindle eBooks Feuerwerk"), plus 20 "eBook Knaller zum Jahreswechsel" für je 2,99 Euro. Nur einen kleinen Teil dieser Angebote gibt es auch auf anderen Plattformen: Die englischsprachigen eBooks (bei denen die Buchpreisbindung nicht greift) sind größtenteils nur bei Amazon so billig, und bei den eBook-Knallern handelt es sich sämtlichst um Titel aus Amazon-Verlagen. Ein Trend, der sich fortsetzen wird.
1. Plattformen werden zu Content-Produzenten, schotten sich ab
Mehrere Hunderttausend eBooks sind exklusiv bei Amazon erhältlich und können entsprechend nur auf Kindle-Lesegeräten und -Apps geschmökert werden. Neben Titeln von AmazonCrossing und dem neuen deutschen Amazon-Verlag Amazon Publishing handelt es sich vor allem um Indie-Titel, deren Autoren sich exklusiv an Amazon binden und dafür Vorteile bei der Vermarktung haben.
Immer mehr Indie-Titel werden kopierschutzfrei bei Amazon eingestellt und sind entsprechend ins epub-Format konvertierbar, doch die Anzeige ist gut versteckt und die Möglichkeit überhaupt nur wenigen bekannt. Gleichzeitig stülpt Amazon kopierschutzfrei angelieferten Dateien von Verlagen wie Hanser, HoCa und Bastel Lübbe ein Zwangs-DRM über. Schon vor einigen Monaten spekulierten wir darum, Amazon könnte die Kopierschutzfrei-Option ganz abschalten. Möglicherweise ist es 2015 so weit.
Aber nicht nur Amazon produziert fleißig eigene Inhalte und fährt die Mauern hoch, auch die Tolino-Alliierten forcieren eigene Inhalte und bewerben sie prominent (Screenshot der thalia.de Startseite). Während Thalia und eBook.de ihre eBooks kopierschutzfrei ausliefern, sind exklusive Weltbild-Titel übrigens durchweg mit Adobe DRM versehen, Kindle-Leser stehen also außen vor. Die viel beworbene Offenheit der Tolino-Alliierten ist letztlich auch auf die eigene Plattform limitiert.
Gedanken machen sollten sich angesichts dieser Entwicklung Leser bei der eBook-Reader-Wahl, aber nicht zuletzt auch Verlage (die nicht im Lizenz-Boot sitzen). Denn umso mehr Exklusiv-Titel es gibt und umso prominenter diese beworben werden, desto schmaler wird die virtuelle Regalfläche für klassische Verlagstitel.
2. Smartphones graben Tablets weiter das Wasser ab
Konventionelle Smartphones sind in den letzten Jahren immer mehr in die "Phablet"-Klasse hineingewachsen, also in die ursprüngliche Smartphone-Tablet-Zwitterkategorie, die vom Samsung Galaxy Note geprägt wurde. Spätestens im Herbst, wo mit dem Google Nexus 6 und dem iPhone 6 Plus zwei verkaufsstarke Geräte mit 5,5″- beziehungsweise 6″-Display vorgestellt wurden, sind Smartphones zu einer handfesten Bedrohung für hochpreisige Mini-Tablets geworden.
Entsprechend hat Amazon sein Fire HDX 7 eingestellt, unterhalb von 8,9 Zoll Bildschirmdiagonale werden nur noch günstige Einsteiger-Geräte verkauft. Auch das Tolino Tab wuchs von 7 auf 8 Zoll, Kobo verabschiedete sich gar ganz von Tablets und fokussiert sich jetzt ganz auf dedizierte Lesegerät und Apps. Insgesamt haben sich Tablets in den letzten zwölf Monaten längst nicht mehr so dynamisch entwickelt wie von vielen Analysten prognostiziert. Zum einen aufgrund der neuen Smartphone-Konkurrenz, zum anderen weil die Entwicklungssprünge auch nicht so groß sind, dass es jedes Jahr ein neues Gerät braucht.
Infolge dessen entwickeln sich Smartphones immer mehr zu beliebten Lesegeräten – auch außerhalb Asiens, wo schon zu Zeiten kleinerer Displays ganz normal Romane auf den Geräten geschmökert wurden. Das geschieht eher auf Kosten der LCD-Rivalen Tablets als auf Kosten dedizierter Lesegeräte, die ihre Qualitäten bei der Anzeigequalität und Akkulaufzeit behalten. E-Ink-Displays in Smartphones wie im Yotaphone 2 werden eine Randerscheinung bleiben.
3. eBook Reader: Zugänglichkeit und Vernetzung gewinnen
Im Jahr 2010 fragten wir die Community (im Rahmen eines Gewinnspieles in Zusammenarbeit mit Sony) nach "ihrem" Wunsch-Lesegerät 2015. Neben allerlei technischen Wünschen (klapp-, roll-, falt-bare Panels, Strom über Solarzellen, mehr Bildschirmplatz) gab es damsls vor allem den Wunsch nach einer einfachen Bedienbarkeit. Fünf Jahre später ist zumindest das Wirklichkeit geworden. Die Tolino-Alliierten haben im Vergleich zur sehr unfertigen Release-Firmware kräftig nachgerüstet und die Funktionalität erweitert, den größten Sprung im vergangenen Jahr aber machte Pocketbook.
Mit der neuen Bedienoberfläche verabschiedete sich Pocketbook von den lange Zeit charakteristischen Textwüsten, die zwar pragmatisch, aber wenig zierend und zudem einsteigerfeindlich waren. Fast noch wichtiger ist die gelungene Shop-Integration, die zuerst bei den von der Mayerschen verkauften Pocketbook Touch Lux 2 Geräten Einzug erhielt und inzwischen auch bei den von Großhändler Umbreit an unabhängige Buchhändler ausgelieferten Geräten zu finden ist.
Trotzdem hat Pocketbook noch nicht das Niveau an Vernetzung, das Kobo, Tolino (Stichwort: Bibliotheksverknüpfung) und natürlich Amazon aufweisen, die allesamt den Vorteil haben, Hardwareanbieter und Shopbetreiber in Personalunion zu sein. Hinter Pocketbook, das infolge der Öffnung der Tolino-Allianz für unabhängige Buchhandlungen (mittels Libri) noch Probleme bekommen könnte, wird es ganz duster. Trekstor hat sich schon aus dem Markt verabschiedet, Bookeen scheint zumindest in Deutschland auf keinen grünen Zweig mehr zu kommen. Der Konzentrationsprozess ist in vollem Gange.
4. Flatrates & Co: Jahr der Wahrheit für neue Geschäftsmodelle
Exakt diese Zwischenüberschrift gab es auch in unseren Vorhersagen für 2014, damals waren wir der Zeit aber ganz offenbar voraus. Eine Konzentration gab es nicht, im Gegenteil betraten nach Skoobe (30 Tage gratis testen) weitere Anbieter die Flatrate-Bühne. Zuvorderst ist natürlich Amazon mit Kindle Unlimited zu nennen, daneben versucht es Readfy mit einem werbefinanzierten Freemium-Modell a la Spotify. Die txtr-Tochter Bloon ist mit einem vielversprechenden Katalog zuerst in UK gestartet und wird 2015 wohl deutschen Boden betreten.
Von Verlagsseite, deren Partizipation für Flatrate-Anbieter entscheidend ist, gibt es aber nach wie vor große Vorbehalte. Die Angst vor einer Kannibalisierung der viel lukrativeren Verkäufe ist groß. Aus dem Musik- und Filmbereich häufen sich die Schlagzeilen über Mini-Umsätze, es gibt erste prominente Aussteiger. Und tatsächlich, viele Indie-Autoren klagen über einbrechende Verkaufszahlen infolge ihrer Beteiligung an Kindle Unlimited.
In Deutschland hat gegenwärtig nur Skoobe namhafte Verlagstitel im Sortiment – von den Verlagen der Gesellschafter Holtzbrinck und Bertelsmann, aber auch aus anderen Häusern. Auf der Frankfurter Buchmesse hörte man von Verlagsseite in der Regel, Skoobe sei die Branchenlösung, die man unterstütze, ein Einstieg bei Kindle Unlimited könnte aus wirtschaftlichen Überlegungen perspektivisch unvermeidbar sein.
Subtext: Für alle anderen Anbieter wird es schwierig. Insbesondere Readfy wird in die Bredouille kommen, denn ohne attraktive Inhalte keine Nutzer, und ohne Nutzer keine Werbeeinnahmen und erst recht keine kostenpflichtigen Abos. Zumal die Werbeeinahmen trotz Online-Zwang und aggressiver Formate wie automatisch startender Video-Reklame mit Ton (!) gerade im Vergleich zu Mitgliedergebühren extrem überschaubar sein dürften.
5. Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Indie-Autoren
Poppy J. Anderson (3x!), Alexander Hartung (2x), Lara Steel, Hanni Münzer, D.C. Odesza, Hannah Kaiser: Bei den Autoren-Namen der aktuellen Kindle-Top-10 gibt es mehr als ein Deja-Vue-Erlebnis. Trotz Millionen Titeln und zehntausenden Indie-Autoren allein in Deutschland dominieren immer die gleichen Namen die Bestseller-Listen.
Eine relativ kleine Zahl an Autoren hat sich in den letzten Jahren viel Knowhow und im Laufe der Zeit natürlich auch eine Fangemeinde aufgebaut und legt jetzt Bestseller für Bestseller vor. Für alle anderen wird es immer schwieriger – das Wachstum des Gesamtmarktes flacht ab, das Angebot wächst unaufhörlich, weil alte Titel nicht mehr wie in früheren Zeiten "verschwinden". Hinzu kommen die schon angesprochenen von den Plattformen selbst publizierten und massiv beworbenen Titel, die Indie-Autoren ebenfalls Sichtbarkeit kosten.
Diese Trends werden sich 2015 fortsetzen, die Grenze zwischen der lukrativen Spitze und dem großen Rest wird immer undurchdringlicher. Wer in die A-Liga aufsteigen will, wird sich noch mehr Gedanken um Marketing (und Zielgruppenaffinität des eigenen Titel) machen und zunehmend Geld für Werbung in die Hand nehmen müssen. Und der Blick sollte auch über Amazon hinausgehen, die Tolino-Plattformen haben in den letzten Monaten spürbar Marktanteile zulegen können.
<Bildnachweis: Glaskugel von Shutterstock>
Kommentare
Mobile Publishing: Update 2014 und Ausblick 2015 | smart digits 6. Januar 2015 um 11:11
[…] Speziell für eReading, eBooks und digitalen Content wagt auch Johannes Haupt bei lesen.net einen Blick in die Kristallkugel mit seinen “eReading-Vorhersagen für 2015″. […]
Tablet vs. Smartphone: Klarer Gewinner in Sicht » lesen.net 28. April 2015 um 13:12
[…] und Surface drohen das Tablet vom Markt zu verdrängen. Damit würde sich eine unserer 5 E-Reading-Vorhersagen für 2015 erschreckend schnell […]