Autorenfotos: Das Auge liest mit [Kolumne]
Haben es gut aussehende Autoren leichter in der Gunst von Buch- und eBook-Käufern? Indie-Autorin Poppy J. Anderson wagt sich in ihrer neuen Kolumne an ein schwieriges, gerade wieder viel diskutiertes Thema. Warum männliche Autoren niemals hässlich sein können und warum jedes Autorenfoto doch nur eine Scheinwelt vorgaukelt.
"Ich kaufe nur Bücher von Autorinnen, deren Foto mich anspricht", bekannte ein Buchblogger – und löste damit in den letzten Tagen kontroverse Diskussinen im Social Web aus. Die Meinungen reichen von "Sexistische, lookistische Kackscheiße" (Literaturschock-Betreiberin Susanne Kasper) bis hin zur Aufforderung, die Mechanismen in unserer oberflächlichen Gesellschaft nicht zu verleugnen.
Indie-Autorin Poppy J. Anderson steht als besonders erfolgreiche Autorin – gerade erst gelangte sie als erste Deutsche in den Club der Kindle-Auflage-Millionäre – auch als Person im Rampenlicht, aktuell prangt ihr Autorenfoto auf der Startseite von Amazon.de. Auch in ihren eBooks spielen Äußerlichkeiten eine gewisse Rolle. Nicht ohne Grund handelt es sich bei den Helden ihrer erfolgreichsten Reihe um die Mitglieder einer Football-Mannschaft.
Lange habe ich darüber nachgegrübelt, wie ich dieses hochbrisante Thema anschneiden soll, ob ich es überhaupt anschneiden soll und wie ich es am besten verpacken soll. Und zwar ist dieses das mit Sicherheit existentiellste Thema einer Autorin. Nein, ich meine nicht die Ideengenerierung. Und ganz sicher meine ich auch nicht die Textstruktur oder die Stilistik. Nein, ich meine das Autorenfoto.
Allein der Begriff "Autorenfoto" hat schon die eine oder andere Autorin (mich eingeschlossen) an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben. Sie fragen sich, weshalb ich dermaßen penetrant „Autorin“ schreibe und nicht "Autor"? Die Frage ist sehr einfach zu erklären.
Männer im Vorteil
Fotos von männlichen Autoren können nicht hässlich sein. No way!
Sie brauchen Beweise? Kein Problem.
Ein Autor mit Falten und Krähenfüßen erscheint weise und besitzt eine große Portion Lebenserfahrung. Der Leser denkt unweigerlich, dass dieser Autor wissen muss, wovon er spricht, und fühlt sich daher in seiner Kaufentscheidung bestärkt.
Ein Autor mit Augenringen und fahler Blässe erscheint wie ein leidenschaftlicher Schreiber, der alle verfügbaren Lebensstunden dem Schreiben widmet und in seinem Beruf aufgeht. Der Leser beschließt, dass es wert sein muss, das Buch dieses blässlichen Mannes zu kaufen, weil scheinbar unendlich viel Herzblut in die Geschichte hineingeflossen ist.
Ein Autor, dessen Gesichtszüge eine gewisse Ähnlichkeit mit denen von Quasimodo besitzen, wirkt interessant und gleichzeitig intelligent. Der Leser rätselt darüber nach, was der Autor in seinem Leben wohl erlebt hat, und kauft allein aus hemmungsloser Neugierde den neuesten Roman.
Und ein Autor, der wie ein junger oder alter Paul Newman aussieht, bräuchte vermutlich nicht einmal ein ansprechendes Cover, weil man seine Bücher unbesehen kaufen würde. Ich täte es auf jeden Fall.
Ergo müssen sich männliche Autoren keine Sorgen über die Außenwirkung ihrer Fotos machen. Bei Frauen sieht es schon wieder etwas anders aus.
"Ungenügendes" Aussehen weckt Zweifel an Kompetenz
Eine Autorin mit Falten und Krähenfüßen erscheint in erster Linie nicht weise, sondern wirft die Frage auf, ob diese Frau überhaupt wissen kann, wovon sie schreibt. Wie soll auch eine Autorin mit sechzig Jahren auf dem Buckel wissen, wie sich Teenager in der heutigen Zeit verhalten? Zweifelnd stelle ich also das Buch wieder zurück ins Regal und sehe mich lieber noch ein wenig in der Buchhandlung meines Vertrauens um.
Eine Autorin mit Augenringen und fahler Blässe wirkt desillusioniert, verlassen und vermutlich verbittert. Sehr wahrscheinlich hat sie sich in ihrem Buch den ganzen Frust von der Seele geschrieben und rechnet mit ihrem Ex ab. Soll ich mir als Leser dies wirklich antun?
Eine Autorin mit schiefen Zähnen, Pickeln und wenig ebenmäßigen Gesichtszügen haust sicherlich mit sieben Katzen in einer unaufgeräumten Wohnung und hatte noch nie einen Freund. Wie soll ausgerechnet diese Frau in der Lage sein, über die große Liebe zu schreiben?
Daher ist es sicherlich kein Wunder, dass Autorinnen das Photoshop-Programm für sich entdeckt haben. Falten, Augenringe, Pickel und das genetisch bedingte Doppelkinn verschwinden im Nu. Allzu gut kann ich mir vorstellen, dass es für Fotografen kein Zuckerschlecken ist, Autorinnen abzulichten. Das panische Gekreische über den perfekten Winkel, sanftes Licht und das richtige Make-up, um Schönheitsfehler zu kaschieren, lässt die armen Fotografen vermutlich nachts aus ihrem Schlaf schrecken.
Ich selbst habe einige Fotos, die ich gerne offiziell benutze. Sie sind fast drei Jahre alt, wurden im Sommer aufgenommen, als meine Gesichtsfarbe keine Ähnlichkeit mit Kasper, dem freundlichen Geist, hatte, und zeigen mich, bevor mir das permanente Sitzen am Schreibtisch zehn zusätzliche Kilos bescherte. Peinliche Fotos, die mich im alkoholisierten Zustand, mit albernen Kostümen zu Karneval oder mit Grimassen zeigen, veröffentliche ich auch – aber nicht auf einem Buchdeckel oder meiner Autorenseite.
Ich weiß, ich weiß. Alles, was ich hier schreibe, klingt schrecklich oberflächlich, sexistisch und gehört verboten. Außerdem sollten Sie meine überspitzten Beschreibungen nicht allzu ernst nehmen.
Spiegelbild der Gesellschaft
Fakt ist jedoch, dass Menschen gerne nach dem Äußeren gehen. Wieso verkaufen sich Diätratgeber wie geschnitten Brot? Warum sonst sollten bereits Teenager zu Schönheitschirurgen pilgern, um einer unerreichbaren Perfektion nachzueifern? Und aus welchem anderen Grund platzen Douglas-Filialen vor dem Wochenende stets aus allen Nähten? Wir wollen attraktiv aussehen. Dies gilt auch für Autorinnen und Autoren.
Fakt ist jedoch auch, dass es absoluter Quatsch ist, sich bei der Kaufentscheidung für ein Buch von einem Autorenfoto beeinflussen zu lassen. Schließlich geht es um den Roman und nicht um die Attraktivität oder das Gewicht des Verfassers.
Scheinrealität Autorenfoto
Autorenfotos stellen sowieso eine Schein-Realität dar, die nicht existiert. Sie werden keinen Schriftsteller mit einem zweireihigen Anzug bekleidet und mit einem Cappuccino in der Hand in einem gut besuchten Café entdecken, wie er dort seinen neuesten Bestseller schreibt. Schriftsteller sitzen gemütlich in ihrem Pyjama am Schreibtisch, rechnen nach, ob es mal wieder Zeit für eine Haarwäsche ist, und kuscheln die Füße in bequeme Hausschuhe, während sie an ihrem Roman schreiben und gleichzeitig Kekse in sich hineinstopfen.
Falls Sie davon ein Foto sehen wollen, können Sie mir gerne eine Nachricht schreiben. Ich schaue dann, was sich machen lässt.
Über die Autorin: Poppy J. Anderson (Homepage, Wikipedia, Amazon) ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die seit Ende 2012 als Selfpublisherin Romane veröffentlicht, welche mittlerweile auch über Rowohlt verlegt werden. Die meisten ihrer Bücher schafften es auf Platz 1 der Bestsellerliste und haben sich insgesamt über eine Million Mal verkauft. Alle Kolumnen von Poppy J. Anderson auf lesen.net.
<Bildnachweise: Michel Mouellebecq von Actualitte, cc 2.0. Fotolabor von Shutterstock>
Kommentare
Lesezeichen 2015, Q2: Autorenfotos, E-Reading-Irrtümer, Wasserzeichen » lesen.net 28. Dezember 2015 um 14:39
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