Der Schmutz siegt: Autoren protestieren erfolgreich gegen Zensur-App Clean Reader
Gähnende Leere im Katalog der Clean Reader-App. Wochenlang wurde die neue App zum Entfernen von Schimpfwörtern aus eBooks diskutiert. Jetzt zeigen die massiven Proteste, vor allem von betroffenen Autoren, ihre Wirkung.
Anfang des Monats hatten wir über die neue Gratis-App zur Entfernung von Schimpfwörtern und Obszönität aus eBooks berichtet. Nicht nur in unserem lesen.net-Forum, sondern auch in der breiten (Internet-)Öffentlichkeit, wurde die App seitdem heiß diskutiert und viel kritisiert. Der lauteste Protest kam – wenig überraschend – von den betroffenen Autoren. Ihre Gegenwehr hat jetzt Wirkung gezeigt: Das US-amerikanische Ehepaar, das die App entwickelte, hat mit sofortiger Wirkung alle eBooks aus dem App-eigenen Katalog gelöscht, berichtete der Guardian. Unterstützer Inktera hatte sich bereits vor einigen Tagen zurück gezogen.
"Saubere" Alternativen häufig unpassend
Mit Hilfe der App kann ein Filter über die Bücher gelegt werden, der je nach Stärke bestimmte Schimpfwörter überdeckt und "saubere" Alternativen vorschlägt. Dass diese Alternativen teilweise schlichtweg unpassend sind und den kompletten Kontext des Buches verändern können, hat Jennifer Porter vom Blog Romance Novel News sehr anschaulich zusammengefasst. Die größten Probleme dabei waren, dass die vorgeschlagenen Alternativen häufig aus dem aktuellen US-amerikanischen Slang stammen und deshalb nicht in die Sprache des Buches passten oder, im Fall von Liebesromanen, anatomisch undeutlich waren.
Vehementer Protest von Seiten der Autoren
Viele Schriftsteller sahen in dieser Veränderung der Texte ihre Autorenrecht verletzt. Mit ihrem Blog-Post Why I’m saying "Fuck you" to Clean Reader wurde Schriftstellerin Joanne Harris (Chocolat) zur Wortführerin der Autoren. In ihrem ersten Post zum Thema (es folgten zwei weitere) argumentiert sie, dass Autoren sehr auf ihre Wortwahl bedacht sind, und das schließe die gelegentliche Nutzung von Schimpfwörtern mit ein. Sie betont, dass die Verwendung solcher Wörter immer einen Zweck hat, ihre Veränderung also den Inhalt des Buches maßgeblich beeinflusst – und zwar ohne die Erlaubnis des Autors.
Unterstützt wird Harris von diversen Kollegen. So schreibt Sci-Fi-Autor Charles Stross auf seinem Blog: "Ich schreibe für Erwachsene. Wenn du denkst meine Bücher sind nicht angemessen für deine empfindlichen Augen, oder die deiner Kinder, dann kauf sie nicht." Und die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood fragte bei Twitter provozierend: "Kannst du die Kesselpauke bei Beethoven weglassen, weil du keine lauten Geräusche magst, und das immer noch Beethoven nennen?"
Rückmeldung der Entwickler
Die Entwickler der App reagierten prompt auf die Entrüstung und wandten sich persönlich an Joanne Harris. Sie wiesen darauf hin, dass die App ja ausgeschaltet werden kann und das Buch weiterhin in seiner Ursprungsform vorliegt. Woraufhin die Autorin noch einmal hervorhob, dass es ihr nicht allein um die Änderung ihres Werkes geht, sondern beispielsweise um die christlich gefärbte Wortwahl der Alternativen und die zweifelhafte pädagogische Aussage der Zensur.
Nachdem nun alle eBooks aus dem Katalog entfernt wurden, haben die Macher der App angekündigt, auf die Kritik mit einigen Neuerungen und Änderungen zu reagieren. Wie die Aussehen sollen, kann sich zumindest Joanne Harris nicht vorstellen: "Ich sehe nicht, wie diese App durch kleine Änderungen weniger anstößig sein sollte. Es gibt wohl nichts, was sie davon abhalten wird, neu anzufangen, sobald die Diskussionen abgeebbt sind. Wir müssen das im Auge behalten."
Große Enttäuschung bei App-Nutzern
Obwohl die Autoren sich über die Entwicklung freuen, gibt es auch gegenteilige Stimmen von begeisterten Nutzern der App, die nun wieder das Gefühl haben müssen, dass ihnen einiges an Literatur entgeht. Doch auch für die hat Harris eine klare Ansage: "Wenn jemand meine Bücher nicht lesen will ist das okay, das kann jeder selbst entscheiden. Wenn jemand sie hasst ist das auch okay. Wenn jemand Vorschläge hat, wie ich sie hätte besser machen können ist das auch in Ordnung, denn jeder kann seine Meinung haben. ABER – das Recht auf eine eigene Meinung schließt nicht mit ein meine Arbeit nach dieser zu Verändern. Mein Buch, meine Regeln, meine Wörter. Alle davon."
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