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Einfach mal abschalten: Warum Lesen nicht aus der Mode kommt

Das Internet, vor allem dessen Nutzung via Smartphones und Tablets, hat unseren Mediengebrauch drastisch verändert. Immer wieder werden Stimmen laut, die wahlweise das Ende oder die revolutionäre Zukunft des Buches propagieren. Enhanced eBooks als Versuch das scheinbar veraltete Medium zeitgemäß zu machen konnten sich bislang aber nicht etablieren. Warum? Weil die Konsumenten nur eins wollen: einfach Lesen.

23 Prozent der US-Amerikaner haben laut einer Studie des Pew Research Centers im Jahr 2014 kein einziges Buch gelesen. Im Rahmen des "National Reading Month" veröffentlichte die US-amerikanische Linguistik-Professorin Naomi S. Baron kürzlich einen Gastartikel bei der Huffington Post, in dem sie den Gründen dafür nachspürt. Ihre These: Unsere digitales Leben hat das schlichte Lesen von Büchern langweilig gemacht.

Lesen zur Überbrückung von Wartezeit aufs nächste "Ping"

Baron argumentiert, dass man früher viel häufiger aus Langeweile zu einem Buch gegriffen und so mit dem Lesen begonnen habe. Heute dagegen bieten Smartphones und Tablets, ja das Internet im allgemeinen, ein viel größeres Ablenkungs- und Beschäftigungspotenzial. Bücher seien im Vergleich viel zu statisch und sinnlich weniger ansprechend. Eine Umfrage unter ihren Studenten ergab, das die wenigsten in ihrer Freizeit überhaupt noch Bücher lesen und diejenigen, die lesen, sich häufig ablenken lassen. Schon während des Lesens, meint Baron, wartet man eigentlich auf das nächste "Ping" des Smartphones, das eine neue Nachricht, einen Tweet oder einen Facebook-Post ankündigt. Die Professorin ist deshalb der Meinung, dass es notwendig ist Strategien zu entwickeln, um Kinder und Jugendliche nachhaltig für Bücher und das Lesen zu begeistern. Sollte das nicht funktionieren, bliebe dann noch die Option mehr Umfelder zu schaffen, in denen die digitalen Geräte keinen Empfang haben, sodass wieder aus Langeweile nach Büchern gegriffen werde.

Enhanced eBooks als Versuch der Anpassung

Bildschirmfoto 2015-03-26 um 14.26.41Dabei gibt es im Prinzip noch eine viel naheliegendere Idee: Die Anpassung der Bücher an unser Medien-Gewohnheiten – in Form von Enhanced eBooks. Schon 2011 wurde diese neue Art der angereicherten digitalen Bücher als Megatrend angeküdigt. Der erwartete Siegeszug blieb bislang aber aus. Die Enhanced-eBook-Version von Ken Folletts Sturz der Titanen beispielsweise wurde ihrer Zeit mit Spannung erwartet, konnte aber in mehrere Hinsicht nicht überzeugen. Zum einen war der Preis, der über dem der Printausgabe lag, wenig attraktiv, zum anderen wirkte das Konzept wenig durchdacht. Die ersten Enhanced eBooks konzentrierten sich eher darauf, was technisch alles möglich war, nicht was tatsächlich das Lese-Vergnügen des Verbrauchers steigern könnte.

Ergänzung oder Störfaktor: Das Genre ist entscheidend

Bildschirmfoto 2015-03-26 um 14.26.02Die entstehenden Probleme, beziehungsweise, wie man das Format sinnvoller nutzen könnte, stellte App-Experte Nicolai Eckerlein damals in einem Essay für lesen.net sehr anschaulich dar. Ein zentraler Punkt von Eckerlin war, dass die Möglichkeiten der Enhanced eBooks sich nicht für jedes Genre eignen. Während Bilder, Videos und zusätzliche Informationen beispielsweise in Fachbüchern oder Biographien eine gute Ergänzung darstellen können, sind sie in der Belletristik eher störend. Der Erfolg des Enhanced eBooks von American Sniper, einer Autobiographie, im Gegensatz zum Scheitern vom "Sturz der Titanen", scheint ihm Recht zu geben.

Wer Belletristik kauft, möchte lesen

Der Unterschied, und damit auch die Begründung, liegt klar auf der Hand: Bei dem einen handelt es sich um eine wahre Geschichte, das andere ist Fiktion. Wenn Handlungen beschrieben werden, die tatsächlich passiert sind, möchte der Leser auch wissen, wo es stattgefunden und wie das tatsächlich ausgesehen hat. Medien wie Bilder und Videos können hier für eine umfassendere Erfahrung sorgen, stellen zusätzliche Informationen zur Verfügung. Der belletristische Leser möchte solche Informationen aber nur bedingt haben.  Nützlich sind höchstens noch Landkarten und Personenverzeichnisse, aber die gibt es in normalen Printbüchern und eBooks auch. Wer dagegen Hintergrundgeräusche und Stimmen hören will, der kauft sich lieber das Hörbuch, wer visuell unterhalten werden will, der kauft sich den Film. Wer ein Buch oder eBook kauft, der möchte aber nur eines: Lesen. Dieser scheinbar leere Raum im Buch, der durch die Enhancements gefüllt werden soll, ist doch gerade das Besondere am Lese-Erlebnis, nämlich das Kopfkino. Die gut gemeinte Interaktivität reißt den Leser aber aus seiner Rezeption heraus und wirkt deshalb eher wie jede andere Unterbrechung.

Einfach nur hier sitzen… (und Lesen)

Der vorrangige Grund, warum Menschen heute noch zum Buch oder eBook Reader greifen, ist der Wunsch diesem allgegenwärtigen Hintergrundrauschen zu entkommen. Mal eine Sache konzentriert zu tun anstatt vieles gleichzeitig. Das jedenfalls ist der Grundtenor der Diskussionen zum Thema in unserem Forum. Dort wird vor allem kritisiert, dass die heutige Internet-Benutzung uns sprunghaft macht. Immer gibt es noch ein Video das gesehen werden, einen Link der angeklickt werden will. Ein Buch hat so etwas eigentlich nicht, und genau das macht sein Wesen aus. Die Linearität des Lesens lässt einen zur Ruhe kommen, das Umfeld vergessen und ganz bewusst (wenn auch nur sinnbildlich) abschalten.

Dieses Abtauchen in eine andere Welt ist es, was den Reiz des Lesens ausmacht und – egal in welcher Form gelesen wird – auch weiterhin aus machen wird. Der Book Marketing Buzz Blog präsentiert gerade 98 Gründe warum wir Bücher lesen. Und neben "weil wir das Gefühl haben wir müssten" und "weil der Smartphone-Akku leer ist" finden sich dort auch Gründe wie "um das eigene Leben mit anderen zu vergleichen", "um sich verstanden zu fühlen" und "um die Umgebung zu vergessen".

<Bildnachweis: Frauen von Shutterstock>

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NEWS! – Lesen: einfach abschalten! | OnleiheVerbundHessen 17. April 2015 um 17:09

[…] Einfach mal abschalten: Warum Lesen nicht aus der Mode kommt » lesen.net. […]

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