Kindle Unlimited aus Autorensicht: Gemischte Gefühle [Kolumne]
In den USA ziehen sich erste prominente Indie-Autoren von Kindle Unlimited (KU) zurück, große Verlage meiden die eBook-Flatrate von Amazon nahezu gänzlich. Die deutsche Indie-Autorin Poppy J. Anderson, auf der KU-Hauptseite mit eigenem Schiffchen vertreten (Bild links), ist mit allen ihren eBooks Teil der Flatrate – noch.
Ohne zufriedene Autoren keine zufriedenen Nutzer
Für Vielleser klingt das Angebot von Amazon, viele eBooks zu einem Festpreis von nicht einmal 10 Euro im Monat herunterzuladen, wie ein Schnäppchen. Die Krux daran ist jedoch, dass die Mehrheit der Indie-Autoren noch unschlüssig zu sein scheint, ob sie das Flatrate-Modell von Amazon weiterhin beliefern sollen oder nicht.
Kehren diese Autoren aufgrund unbefriedigender Rahmenbedingungen dem Programm den Rücken zu, schrumpft auch das Angebot für die Leser. Dies hätte zur Folge, dass Kindle Unlimited uninteressant für Lesende würde, immerhin befände sich dann lediglich eine relativ überschaubare Anzahl von Verlagsbüchern in der verfügbaren Titelliste. Besonders viele neue Titel kämen auch nicht hinzu, was vor allem ein Problem für Vielleser wäre.
Abgesehen von diesen Überlegungen muss dem Leser klar sein, dass ihm zwar durch den Begriff "Flatrate" suggeriert wird, endlos viele Bücher leihen zu können, tatsächlich kann er jedoch immer nur bis zu 10 eBooks auf seinen Reader packen und muss diese zurückgeben, um weitere leihen zu können. Die Vorstellung eines gut gefüllten Readers mit unzähligen dauergeliehenen eBooks wird daher hinfällig.
Warum stößt das Kindle Unlimited-Programm, das es seit Oktober auf dem deutschen Markt gibt, bei Autoren auf so viel Skepsis? Einerseits mag es daran liegen, dass man als Autor keinen Einfluss auf die Preisgestaltung hat. Andererseits klingt es nach einem Ausverkauf der Literatur, wenn eine Flatrate angeboten wird, die es einem ermöglicht, Bücher für einen Appel und ein Ei zu leihen. Aus der Kunst wird ein Handelsgut – getreu dem Motto: Leihen, Lesen, Löschen.
Kurzgeschichte genauso entlohnt wie 900-Seiten-Wälzer
Betrachten wir die finanzielle Komponente genauer und gehen an das Eingemachte. Im Gegensatz zu den Verkäufen, bei denen man selbst einen Preis festsetzen kann, verhält es sich bei Kindle Unlimited so, dass Monat für Monat aus einem weltweiten Fond errechnet wird, wie hoch die Auszahlungen für die Ausleihen sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob man einen Kurzroman für 99 Cent oder einen 900-seitigen Wälzer für 10 Euro anbietet, da jedes Exemplar den gleichen Betrag pro Ausleihe erhält.
Laufende Preisanpassung macht Planung unmöglich
Zudem weiß der Autor niemals im Vorfeld, wie hoch der Ertrag einer Ausleihe sein wird, da diese erst nach Beendigung des entsprechenden Monats ermittelt wird. Demnach hat der Autor weder eine Zusicherung, in welchem Bereich diese Berechnung liegt, noch kann er langfristig planen, da sich die Erträge von Monat zu Monat ändern können. Bringt er einen Roman heraus, an dem er gegebenenfalls mehrere Jahre gearbeitet hat, und veranschlagt dafür einen bereits sehr günstigen Preis um 4 Euro, kann es vorkommen, dass er durch Kindle Unlimited ein Verlustgeschäft riskiert. Zudem können auch seine regulären Verkäufe einbrechen, wenn sich die Leser dazu entscheiden, das Buch zu leihen und nicht zu kaufen.
Deutsche Indie-Autoren bleiben skeptisch
Aus den USA kommen schon absolute Horrormeldungen desillusionierter Indie-Autoren, die dem Programm den Rücken kehren und davon schreiben, dass ihr Einkommen um mehr als die Hälfte geschrumpft ist. Teilweise wurde sogar von 75% Verlust im Vergleich zu Verkaufsmonaten ohne Kindle Unlimited gesprochen. In Deutschland sind wir von solchen Szenarien noch entfernt, doch die Selfpublishergemeinde bleibt skeptisch, was KU betrifft, da niemand einschätzen kann, in welche Richtung sich das Programm entwickeln wird.
Ausstieg ist riskant
Das Modell einfach zu verlassen, erscheint da als naheliegende Lösung, birgt jedoch ebenfalls überlegenswerte Risiken, da durch eine Abkehr von Kindle Unlimited die Sichtbarkeit im Verkauf leiden könnte. Das Buch wird womöglich schlechter beworben, erscheint seltener in den Empfehlungen und verliert durch fehlende Ausleihen gute Plätze im Ranking. Hier gilt der Grundsatz: Ein Buch, das ich nicht sehen kann, kaufe ich auch nicht.
Daher scheinen Autoren die etwaigen Nachteile von KU zu tolerieren, um keine Sichtbarkeit zu verlieren. Natürlich geistert vielen auch durch den Kopf, dass sie bei einem Verlassen des Modells für solche Leser, die zu den Kunden von Kindle Unlimited gehören, nicht länger attraktiv erscheinen würden, da diese nun fast ausschließlich Bücher lesen, die in der Flatrate enthalten sind. Bedeutet demnach eine Abkehr von KU auch einen Verlust von Lesern?
Attraktiv für unbekanntere Autoren
Sicherlich ist das Programm vor allem für Autoren ohne eine feste Stammleserschaft von Vorteil, da eine Flatrate es schaffen kann, neue Leser zu gewinnen und mehr Ausleihen zu generieren. KU-Nutzer sind womöglich experimentierfreudiger und lassen sich auf für sie unbekannte Autoren ein, deren Bücher sie nicht gekauft hätten, wenn sie die entsprechenden Ebooks nicht „umsonst“ hätten laden können. Auf diese Weise können neue Lieblingsautoren entdeckt werden, was fraglos ein großartiger Gewinn für viele Selfpublisher ist.
Verkaufen über Verleihen
Gleichzeitig sollte bedacht werden, wohin es führt, wenn immer mehr Nutzer der Flatrate hinzukommen, die Ausleihen ansteigen, die Verkäufe fallen und die Erträge geringer werden (können). Die meisten Autoren möchten ihre Bücher verkaufen und nicht verleihen.
Ist eine Unterstützung von Kindle Unlimited daher sinnvoll oder kontraproduktiv? Ich für meinen Teil habe noch keine Antwort auf diese Frage gefunden, bin – noch – Teil des Modells und betrachte die Entwicklung mit gemischten Gefühlen.
Selbstverständlich garantiert Selfpublishing (wie auch das Schreiben unter einem Verlagsdach) keine hundertprozentige Sicherheit in beruflicher Hinsicht, doch ist meiner Meinung nach durch Kindle Unlimited eine ungewisse Komponente hinzugekommen.
Über die Autorin: Poppy J. Anderson (Homepage, Wikipedia, Amazon) ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die seit Ende 2012 als Selfpublisherin Romane veröffentlicht, welche mittlerweile auch über Rowohlt verlegt werden. Die meisten ihrer Bücher schafften es auf Platz 1 der Bestsellerliste und haben sich über 800.000 Mal verkauft.
Kommentare
Markierungen 01/17/2015 – Snippets 17. Januar 2015 um 05:32
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