Skip to main content

Kritik an Literaturkritik: "Elendes Kumpelsystem"

Die Literaturkritiker der großen Medien lesen die von ihnen rezensierten Bücher häufig nur oberflächlich oder teilweise, viele jubelige Bewertungen haben ihre Ursache in persönlichen Verbandelungen. Diese Kritik erhob ausgerechnet ein Verleger – und bekam dafür viel Zustimmung aus der Branche.

In den Feuilletons gebe es immer weniger Buchbesprechungen, klagte Jörg Sundermeier, Verleger des Verbrecher Verlag,  im "Sonntagsgespräch" des Fachmagazin Buchmarkt. Statt für Literaturkritik würde immer mehr Raum für die Beschäftigung mit dem Literaturbetrieb selbst aufgewendet.

Einen Grund sieht er im Aufwand, den die Besprechung "echter" Literatur abverlangt. Für Lektüre und Rezension eines literarischen Buches gingen schon einmal eine Woche drauf, deutlich mehr als etwa für die Rezension trivialer Bücher oder für die Ausarbeitung einer "Home Story". Hinzu komme, dass Intellektualität insgesamt aus der Mode gekommen sei.

"Elendes Kumpelsystem der Abhängigkeiten"

Ein weiteres Ärgernis sei die mangelhafte Qualität und Objektivität professioneller Rezensionen, moniert der Verbrecher-Verleger. Literaturkritiker läsen "ihre" Bücher häufig nur teilweise oder oberflächlich, und in den Besprechungen spiegele sich das enge Verhältnis von Kritikern und Verlagen wider.

Sundermeier spricht von einem "elenden Kumpelsystem der Abhängigkeiten": Viele Literaturkritiker schreiben selbst Vor- und Nachworte, rezensieren also die Bücher von Kollegen. Folge: "Sie glauben nun, diese Bücher und diese Kollegen nicht mehr kritisieren zu können. Da geht es um Macht und um Angst."

Leser wenden sich von Literatur ab

Seinen eigenen Verlag sieht Jörg Sundermeier strukturell benachteiligt. Kleinere Verlage kämen kaum im Feuilleton vor, und wenn, dann unter Verweis auf ihre Kleinheit: "Ganz so, wie Oma ein Kind tätschelt, wenn es ein Gedicht gut aufgesagt hat". Dies führe dazu, dass sich Leser von Literatur insgesamt abwenden. So "züchtet man eine Menge Nerds, Spinner und Dummköpfe".

Viel Zustimmung aus der Branche

Mit der Kritik steht Sundermeier nicht allein. Das Blog Lesenmitlinks hat zahlreiche zustimmende Kommentare aus der ganzen Branche zusammengefasst, von Buchbloggern (also de facto Hobby-Kritikern) über Buchhändler bis hin zu Wissenschaftlern. Und Buchbloggerin Karla Paul weist darauf hin, dass längst nicht nur die Print-Kritik in der Kritik steht.

So übertitelte die Basler Zeitung ihre jüngste Besprechung des schweizerschen TV-Formates "Literaturclub" mit Sitzen vier Phlegmatiker in einem Raum. Besprechungen der wenigen verbliebenen deutschen TV-Formate, etwa die ZDF-Sendung Das blaue Sofa (Sendezeit: maximal 1x monatlich, Freitags um 23:00 Uhr), schlagen in eine ähnliche Kerbe.

Netz demokratisiert Kritik

Fakt ist: Schon aufgrund bröckelnder Zeitungsauflagen hat die Literaturkritik in Print-Form in den letzten Jahren einen deutlichen Bedeutungsverlust erlitten, und auch im Fernsehen ist das Thema längst nicht mehr so präsent wie etwa zu Hochzeiten des Literarischen Quartett. Vielleicht gibt ja wirklich einen intellektuellen Verfall und sinkende Aufmerksamkeitsspannen bei der "Generation Smartphone", die mit Literatur weniger anfangen kann als vorige Generationen (die sich den Vorwurf wohl ebenfalls gefallen lassen mussten).

Allerdings scheinen sich viele Formate auch einfach überlebt zu haben. Und durch die Demokratisierung der Literaturkritik durch das Internet mit seinen zahlreichen Buchblogs und Rezensions-Spalten in Online Stores (die freilich auch ihre Tücken haben) können sich Leser ausgewogener und umfänglicher über neue Werke informieren als jemals zuvor. Diese vielstimmige Kritik für ihre Leserschaft zu strukturieren und einzuordnen, könnte für "professionelle" Kritiker doch eine interessante Aufgabe sein.

<Bildnachweis: Kritik von Shutterstock>

Ähnliche Beiträge


Kommentare


Hardware-Testberichte: Gute Geschäfte mit guten Noten » lesen.net 11. Februar 2015 um 08:00

[…] den letzten Tagen berichteten wir über Kritik an der Literaturkritik (“elendes Kumpelsystem“) und über Verlage, die Bücher mit versteckter PR publizieren. Aber wie […]

Antworten

Lesen mit Links 12. Februar 2015 um 11:17

[…] kam das BuchMarkt-Interview mit Jörg Sundermeier, (hier die Reaktionen im LesenMitLinks-Blog und sowohl hier als auch hier weitere Quotes). In der vergangenen Woche wurden die Nominierten des Preises der […]

Antworten

“Pestgeschwür”: 9 literarische Klassiker, die nicht von Anfang an beliebt waren » lesen.net 23. März 2015 um 11:03

[…] wollen jetzt nicht darauf eingehen, was gute oder schlechte Literatur aus macht, die Literaturkritik ist ja ohnehin eine schwierige Sache. Gerade bei Werken, die für uns ganz selbstverständlich in den Literaturkanon […]

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*