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Mindestlohn: Gefährlicher als Amazon

Die Uhr tickt: Vergangene Woche beschloss der Bundestag einen flächendeckenden Mindestlohn, der zum 01.01.2015 für nahezu alle Angestellten in Kraft tritt. In der Buchbranche nahm man bisher kaum Notiz davon – dabei ist das Gesetz gerade hier existenzbedrohend.

Mindestens 8,50 Euro stündlich haben Arbeiter und Angestellte vom ersten 01. Januar 2015 an zu verdienen, beschloss der Bundestag am Mittwoch vergangener Woche mit überwältigender Mehrheit. Am heutigen Freitag wurde das Gesetz dann auch vom Bundesrat abgesegnet. In der gesetzlichen Regelung gibt es nur wenige Ausnahmen und Übergangsfristen, etwa für Erntehelfer und Branchen mit allgemeinverbindlichen Mindestöhnen. Bei Verstoß gegen das neue Gesetz drohen empfindliche Geldstrafen.

Auch Praktikanten haben generell einen Anspruch auf den Mindestlohn, allerdings gibt es ein paar Ausnahmen. Konkret:

  •  das Praktikum dauert nicht mehr als sechs Wochen
  • es handelt sich um ein Pflichtpraktikum im Rahmen des Studium.

sowie ferner

  •  der Praktikant ist jünger als 18 Jahre
  • der Praktikant kommt aus der Langzeitarbeitslosigkeit

Das war es. Bei einigen Unternehmen müssten spätestens jetzt sämtliche Alarmglocken angehen, denn die neue gesetzliche Regelung stellt eine fundamentale Bedrohung vieler Geschäftsmodelle dar.

"Geschäftsmodell Praktikanten-Einsatz" vor dem Aus

Aussterbende Spezies: Praktikanten (Symbolbild)

Aussterbende Spezies: Praktikanten (Symbolbild)

Bei zahlreichen Verlagen und Dienstleistern machen schlecht oder gar nicht bezahlte Praktikanten einen wesentlichen Teil der Belegschaft aus – uns sind Fälle bekannt, wo ganze Abteilungen praktisch ausschließlich aus Praktikanten bestehen. Diese Praxis wird zum 01. Januar ein Ende haben müssen, das ist jetzt schon absehbar.

Die zeitliche Limitierung auf sechs Wochen macht den Einsatz von freiwilligen Praktikanten als billige Arbeitskräfte de facto unmöglich: In den ersten Wochen hat das Unternehmen erfahrungsgemäß eher zu investieren (Einarbeitung), der Nutzen überwiegt meist nur bei längerfristigen Praktika. Auch Praktikanten nehmen in sechs Wochen weniger mit als in drei bis sechs Monaten.

Bleiben Pflichtpraktika. In vielen aktuellen Lehrplänen von Geisteswissenschaftlern sind wenige oder überhaupt keine solchen Praktika vorgesehen. Die Kollegen von Spiegel Online fragten mit Verweis auf den Mindestlohn in Universitäten nach – und bekamen von Uni-Mitarbeitern zu hören, man lasse sich "nicht in unser Curriculum hineinreden". Zumindest kurzfristig wird es kaum eine Schwemme an Pflichtpraktika geben.

Für "unattraktive" Arbeitgeber wird es eng

Die Entwicklung in den nächsten Monaten ist absehbar: Einem konstant großen Angebot an Praktikantenstellen in der Buchbranche stehen immer weniger "qualifizierte" (im Sinne des Gesetzes) Praktikanten gegenüber. Erste Unternehmen haben schon reagiert und suchen gezielt: So vergibt der Rowohlt Verlag eine Praktikantenstelle ab 12.01.2015 ausschließlich an Pflichtpraktikanten.

Namhafte Verlage wie Rowohlt müssen sich wohl weiterhin keine Sorgen um die Besetzung ihrer Praktikantenstellen machen. Für kleinere Unternehmen der Branche, die häufig umso mehr auf billige Arbeitskräfte setzen (müssen), könnte die Praktikantensuche in den nächsten Monaten aber ganz schwer werden. Es ist sehr gut möglich, dass wir im Jahr 2015 einige Geschäftsaufgaben erleben, die unmittelbar mit dem Mindestlohn zusammenhängen. Was Amazon nicht schafft, erledigt die Bundesregierung.

Zwar lassen sich Unternehmen, die nur bei billiger Ausbeutung der Arbeitskraft junger Menschen überlebensfähig sind, mit gutem Grund als überflüssig bezeichnen. Die Regelung hat aber viele Kollateralschäden: Abiturienten auf Orientierungssuche, Studierende ohne Pflichtpraktika im Lehrplan und Absolventen ohne Aussicht auf einen festen Job haben künftig wesentlich weniger Optionen. Ein sinnvoller Kompromiss wäre in unseren Augen hier ein verbindlicher Mindestlohn für Praktikanten etwa von 500-700 Euro monatlich – bedauerlicherweise war der Buchbranchen-Lobbyverband Börsenverein in den letzten Monaten offenbar zu beschäftigt mit öffentlichkeitswirksamen Grabenkämpfen gegen Amazon, um sich erfolgreich für eine solche Regelung einzusetzen.

Hoffnung für Volontäre

Das monatliche Bruttogehalt bei einem Stundenlohn von 8,50 Euro beträgt übrigens rund 1.460 Euro (Arbeitgeberbelastung etwa 1.800 Euro), legt man eine rechnerische Monatsarbeitszeit von 172 Stunden zugrunde, was kalkulatorischer Standard ist. Als Praktikantengehalt ist das natürlich unrealistisch, aber in der Buchbranche (und wohl auch nur da) gibt es noch eine andere große Gruppe, die derzeit häufig weniger verdient: Volontäre.

Im vergangenen Jahr sorgte eine Stellenanzeige des Kölner Verlages Kiepenheuer & Witsch für Aufsehen, der Volontären ein Gehalt von 500 Euro brutto plus Essensmarken (!) in Aussicht stellte. Das ist ein extremer Fall, tatsächlich bewegen sich aber viele Volo-Gehälter in der Buchbranche um die 1.000-Euro-Marke. Nur einige wenige Dickschiffe und Spezialverlage bezahlen schon jetzt mindestens den neuen Mindestlohn, alle anderen werden sich etwas einfallen lassen müssen. Bei Volontariatslängen von einem Jahr und mehr sollte der Mindestlohn hier aber eigentlich kein Problem darstellen, die Arbeitsleistung sollte in halbwegs wirtschaftlich aufgestellten Unternehmen das Gehalt absolut aufwiegen – bislang gab es hier einfach zu viele junge Absolventen, die sich für kleineres Geld beschäftigen ließen.

<Bildnachweis: Geld, Praktikanten von Shutterstock>

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