Schreiben: beruhigender als Yoga [Kolumne]
Indie-Autorin Poppy J. Anderson wollte man in der Vergangenheit nicht im Straßenverkehr in die Quere kommen – bei ihrem letzten Auto musste sogar die Hupe dran glauben. Warum sie neuerdings selbst "Schleicher" nicht mehr aus der Ruhe bringen und sie auch gehässige Kommentare und Rezensionen äußerst gelassen zur Kenntnis nimmt, verrät sie in ihrer neuen Kolumne.
Ich bin eine grauenvolle Autofahrerin. Nein, das stimmt nicht wirklich. Eigentlich bin ich eine grandiose Autofahrerin, kann in einem Zug rückwärts in die winzigsten Lücken einparken, fühle mich im Stadtverkehr von Berlin genauso wohl wie im Stadtverkehr von Rom, Edinburgh, Paris oder Tel Aviv und war in einem früheren Leben vermutlich Rennfahrerin. Wenn es nicht derart umweltverpestend wäre, würde ich gerne einen Hummer fahren (ein Panzer wäre natürlich noch besser). Oder ich würde einen Hummer zum Hybridmodell umbauen. Doch dafür bin ich leider nicht technikaffin genug, schaffe ich es gerade einmal, die Tintenpatrone an meinem Drucker auszuwechseln. Daher bleibe ich bei meinem heiß geliebten Fiat 500, der bald seinen fünften Geburtstag feiert.
Doch genug des Eigenlobes und des Geschwafels.
Neue Gelassenheit und Geduld
Weshalb ich anfangs geschrieben habe, dass ich eine grauenvolle Autofahrerin bin, hat einen anderen Grund: Leider verliere ich relativ schnell die Geduld und habe es bei meinem uralten VW Polo geschafft, dass die Hupe den Geist aufgab.
Meistens rege ich mich unglaublich rasant auf und hupe, wenn der Fahrer vor mir nicht schnell genug anfährt, kreische in das Innere meines Autos böse Schimpfworte, wenn vor mir rote Bremslichter aufleuchten, und fletsche die Zähne, wenn irgendein Trottel so dämlich einparkt, dass kein anderes Auto mehr Platz hat.
Seit einiger Zeit jedoch bemerke ich verwundert, dass mich nicht einmal mehr ein Opi im Mercedes auf der linken Spur, der geschmeidige 40 km/h anstatt der möglichen 70 fährt, aus der Ruhe bringen kann. Tatsächlich verdrehe ich lediglich lächelnd die Augen und zucke mit der Schulter, wenn so etwas passiert. Dies erstreckt sich nicht nur aufs Autofahren, sondern auf jede andere Lebenslage. Endlos lange Einkaufsschlangen, die nervige Verwandtschaft oder ein defektes Handy ringen mir nicht einmal ein unterdrücktes Knurren à la Marge Simpson ab.
Daher kann ich nur zu einem Schluss kommen: Schreiben ist besser als Yoga.
Kritik perlt ab
Meine beste Freundin (die Shoppingqueen-Kandidatin), die mich immerhin seit der fünften Klasse kennt, äußerte sich erst letztens sehr besorgt darüber, dass etwas mit mir nicht stimmen könne, weil es mich kalt ließ, als ich (mal wieder) irgendetwas wenig Schmeichelhaftes über meine Person lesen durfte. Während sie sich an den PC setzte, um das Internet zu befragen, welche dubiose Erkrankung hinter meiner plötzlichen Weigerung, an die Decke zu gehen, stecken könnte, machte ich mir meine eigenen Gedanken.
Warum interessierte es mich nicht, dass XYZ dies und das von mir behauptete? Und warum kam ich nicht einmal auf die Idee, mich zu verteidigen und XYZ zu antworten, dass dies und das absoluter Blödsinn sei und er sich lieber ein Hobby suchen solle?
Auch hier im Forum, in dem ich ab und zu schlecht wegkomme, lese ich gerne mit und habe vor allem in der Anfangszeit auf die teilweise heftigen Kommentare schockiert reagiert, doch auch das hat sich gelegt. Mittlerweile habe ich mir einen sehr dicken Pelz (bitte keine Diät-Tipps) zugelegt und freue mich über die Rückendeckung einiger User, deren Kommentare ich sehr wohl zur Kenntnis nehme – und die mir ein Lächeln auf die Lippen zaubern.
Ausgeglichen dank Schreibarbeit
Hätte ich einen Beruf, der mich nerven, anöden oder unglücklich machen würde, dann würde ich vermutlich ständig aus der Haut fahren und mich aufregen, aber so, wie es momentan ist, habe ich überhaupt keinen Grund, ungeduldig oder wütend zu werden. Eigentlich ist es sogar extrem entspannend, dass man sich die neuesten Rezensionen oder Kommentare anschauen kann, ohne vorher schon mit einem unangenehmen Magengefühl kämpfen zu müssen, weil man weiß, dass man mittlerweile die Ruhe weg hat.
Daher kann ich jedem Bluthochdruckpatienten das Schreiben bzw. das Selfpublishing empfehlen. Hier findet man mit der Zeit einen ausgezeichneten Zugang zu seinem inneren Chakra.
Über die Autorin: Poppy J. Anderson (Homepage, Wikipedia, Amazon) ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die seit Ende 2012 als Selfpublisherin Romane veröffentlicht, welche mittlerweile auch über Rowohlt verlegt werden. Die meisten ihrer Bücher schafften es auf Platz 1 der Bestsellerliste und haben sich insgesamt über eine Million Mal verkauft. Alle Kolumnen von Poppy J. Anderson auf lesen.net.
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