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Wie die EU die Müllproduktion ankurbelt und die Buchpreisbindung gefährdet

Die Europäische Union verfolgt ehrgeizige Klimaziele, auch die Förderung kultureller Vielfalt hat sie sich seit jeher auf die Fahnen geschrieben. Das Urteil, das der hauseigene europäische Gerichtshof gerade zum Mehrwertsteuerstreit bei eBooks fällte, läuft gleich beiden Bestrebungen zuwider.

Für eBooks einen verminderten Mehrwertsteuersatz anzulegen, wie es Frankreich und Luxemburg in den vergangenen Jahren gemacht haben, ist unzulässig, urteilten die obersten EU-Richter am vergangenen Donnerstag. Die absurde Begründung: Weil es sich bei eBooks nicht um (kulturelle) physische Güter, sondern um Dienstleistungen handele, müsse gemäß EU-Richtlinie der volle Mehrwertsteuersatz veranschlagt werden.

Aus demselben Grund werden hierzulande seit vergangenem Jahr auch auf ein Hörbuch auf CD sieben Prozent Mehrwertsteuer fällig, für das selbe Hörbuch als Download werden 19 Prozent veranschlagt. Logik? Fehlanzeige.

Bei einem 10 Euro teuren Buch beträgt die steuerliche Differenz zwischen Print und Digital rund 1 Euro – Geld, das eBooks für den Kunden günstiger und/oder das eBook-Geschäft für Verlage und Autoren lukrativer machen würde (was letztlich auch dem Digital-Leser zugute käme). Das Ergebnis ist das gleiche: Das eBook ist weniger attraktiv.

EU: Mehr Umweltschutz, mehr Steuern

Papierfabrik

Papierfabrik

Dieser Umstand steht in krassem Widerspruch zu den Klimazielen der europäischen Union. 2020 will man EU-weit 20 Prozent weniger CO 2 ausstoßen als 1990, 2030 sollen es sogar 40 Prozent sein.

Zur CO2-Bilanz von Print versus Digital gibt es keine zwei Meinungen: Das gemeinnützige Öko-Institut (vergibt unter anderem den blauen Engel) bilanzierte schon 2011, bereits ab 10 gelesenen Büchern a 200 Seiten verursache ein eBook Reader weniger CO2-Ausstoß als bedrucktes Papier – und gemessen wurde nur die Herstellung, nicht die Liefer- und Anfahrtswege zum Kauf. "Wer statt in gedruckten Büchern mit dem elektronischen Gerät schmökert, spart Papier, Energie und Treibhausgase", heißt es seitens des Instituts. Dass die EU Print-Bücher steuerlich besser stellt als eBooks ist, als würden Elektroautos mit hohen Abgaben versehen und SUVs dafür bezuschusst werden, weil sie schicker aussehen.

Keine Buchpreisbindung für Nicht-Bücher

"Die EU ist bestrebt, das gemeinsame kulturelle Erbe Europas zu bewahren und anderen zugänglich zu machen, sowie Kunst und Kreativwirtschaft in Europa zu fördern", preist sich die EU . Als Garant dieser kulturellen Vielfalt gilt auch die deutsche Buchpreisbindung, deren Zweck "der Schutz des Kulturgutes Buch" und einer breiten Verfügbarkeit durch zahlreiche Verkaufsstellen ist (§1 BuchPrG).

Ob das Preisbindungsgesetz diesem Zweck noch dient und ob es im digitalen Raum und in Zeiten von eBook Flatrates nicht ohnehin ausgehöhlt ist, sei einmal dahingestellt. Innerhalb der Buchbranche war allerdings bislang weitgehender Konsens, dass das Gesetz auch für eBooks gilt – immerhin handelt es sich offensichtlich nur um andere Verpackungen exakt des gleichen Inhalts.

Die EU sieht das freilich anders. Jörg Sundermeier, Geschäftsführer des Verbrecher Verlages, führte in einem taz-Kommentar aus, die EU stelle mit ihrem Urteil in Frage, ob das eBook überhaupt ein Buch sei. Ist das nicht der Fall, findet der ermäßigte Mehrwertsteuersatz keine Anwendung, genauso weniger aber auch das Buchpreisbindungsgesetz.

Sundermeier spricht davon, das Urteil habe "ein Tor aufgemacht" und rechnet mit baldigen juristischen Schachzügen von jenen, die schon lange auf eine Abschaffung der Buchpreisbindung warten. Der Verleger nennt beispielhaft "große Handelsketten" – und dürfte vor allem Amazon im Sinn haben, das sich in den USA und Großbritannien mit Kampfpreisen von wenigen Cent für aktuelle Bestseller eine große Marktdominanz sicherte (und damit wohl auch mitverantwortlich ist für einen deutlich höheren eBook-Umsatzanteil, als wir ihn hierzulande haben).

Krasser Widerspruch zu EU-Grundsätzen

Die EU gibt, die EU nimmt, könnte man meinen: Nachdem die großen internationalen Player durch die neue Bestimmungslandbesteuerung gerade erst steuerliche Vorzüge gegenüber dem deutschen Wettbewerb einbüßten, öffnen die EU-Richter jetzt ein neues Einfallstor. Wie sich das Urteil mit fundamentalen Grundsätzen der europäischen Gemeinschaft verträgt (gar nicht), scheint bei der Urteilsfindung keine Rolle gespielt zu haben.

<Bildnachweis: Papierfabrik, EU von Shutterstock>

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Kommentare


4 überraschende Fakten über Hörbücher » lesen.net 1. August 2017 um 12:47

[…] ändern, eher im Gegenteil – der reduzierte Satz greift nur bei CDs, nicht bei Downloads (Wie die EU die Müllproduktion ankurbelt und die Buchpreisbindung gefährdet). Immerhin: Digital-Digital-Hörer (sic) kommen in den Genuss von kostenlosen Hörbüchern und […]

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