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Wie sich Autoren inspirieren lassen [Kolumne]

Woher nehmen Autoren Ideen für ihre Romane, handelnde Personen und Ereignisse? Poppy J. Anderson schließt sich dafür nicht in ihr Schreibkämmerlein ein, sondern geht im Gegenteil auf die Straße. Inspirationen gibt es überall, schreibt sie in ihrer neuen Kolumne – auch ein unwirscher Supermarktkunde findet sich bald in einem Anderson-Roman wider.

Ja, ich gebe es zu. Ich, Poppy J. Anderson, leide unter einer Autorenkrankheit – einer sehr lästigen Angewohnheit, von der jede Person in meinem Bekanntenkreis nicht nur weiß, sondern direkt betroffen ist. Wenn ich könnte, würde ich es abstellen, doch dies scheint leider nicht möglich zu sein.

Episoden, die das Leben schreibt

Hape Kerkeling sang einst, dass das ganze Leben nur ein Spiel sei und die Menschen die Kandidaten.
In meinem Fall ist das Leben jedoch kein Spiel, sondern ein Buch. Und leider Gottes müssen Bekannte, Verwandte, Freunde, deren Bekannte oder ahnungslose Passanten auf der Straße als Romanfiguren herhalten.

supermarkt shutterWenn wir schon beim Thema sind: Falls der hippe Kunde mit den ausgetretenen Chucks, der Glitzerjacke und dem vierfach gepiercten Ohrläppchen, der kurz vor Ostern in einem Essener Edeka-Markt ein Streitgespräch mit einer Verkäuferin über Bio-Obst und Veganismus begann, diese Zeilen liest, sollte ich ihn vorwarnen. Die Episode wird nämlich gerade in einem meiner Bücher verwurschtelt. Ich konnte nicht anders! Es tut mir leid, aber woher soll ich denn sonst meine Inspiration beziehen, wenn nicht von Männern, die den Schneid besitzen, sich mit einer zwanzig Zentimeter kleineren, sicherlich fünfzig Kilogramm schwereren und dreißig Jahre älteren Frau mitten in einem Supermarkt wegen Bio-Bananen anzulegen?

Okay, es war wirklich lustiger, als es nun klingt. Warten Sie das Buch ab!

Die Autorin denkt mit

Tatsächlich höre ich in letzter Zeit vermehrt Beschwerden darüber, dass ich in Gesprächen (oder Telefonaten) abwesend erscheine, nichtssagende Antworten gebe und einen ganz speziellen Gesichtsausdruck aufsetze. Auch wenn der erste Impuls bezüglich dieses Vorwurfes der ist, alles zu leugnen, gestehe ich beschämt ein, dass es stimmt. Sobald mir jemand eine annähernd komische Geschichte oder eine merkwürdige Begebenheit erzählt, beginnt es in meinem Kopf zu rattern, weil ich darüber nachdenke, wie ich dies in einem Buch verarbeiten kann. Dass ich anschließend nicht mehr ansprechbar bin, ist keine böse Absicht.

Es ist eine Seuche. Wohl wahr!

Streitende Rentner werden Romanfiguren

renter shutterErst vorgestern hatte ich mich auf einen ruhigen Kinotag mit meinem Patenkind gefreut, als ich schon wieder von dieser Schwäche heimgesucht wurde. Statt mit einer Familienpackung Nachos im Schoß kitschigen Disney-Songs zu lauschen und Cinderella dabei zu beobachten, wie sie dem hoffnungslos zugekleisterten Prinzen den Kopf verdreht, hatte ich die Idee für ein neues Buch. Der Grund dafür war nicht etwa der leicht kitschige Film, sondern der handfeste Streit eines älteren Ehepaares über die Vorzüge von salzigem Popcorn gegenüber süßem Popcorn, der so sehr ausartete, dass ich entweder mit einer Scheidung oder einem Mord rechnete.

Immerhin drehte sich der Streit irgendwann darum, dass sich der liebenswert wirkende Opi mit dem schütteren Haar und dem Gehstock in außerehelichen Aktivitäten geübt hatte, als Kurt Georg Kiesinger Kanzler gewesen war. Während die anderen Kunden in der Warteschlange kurz vor einem Tobsuchtsanfall standen, genoss ich das Hick-Hack zwischen Erna und Hans in vollen Zügen und machte mir gedanklich Notizen für ein nächstes Buch.

Schande über mich!

Manchmal befürchte ich, dass mir keine meiner Freundinnen mehr brisante Geschichten zu ihren Freunden oder zu peinlichen Malheuren erzählen wird, da einige dieser Geschichten bereits (natürlich in leicht abgewandelter Form) in meinen Romanen vorkommen. Mein ausgeprägter Mitteilungsdrang ist schuld daran, dass sich so viele Bekannte in meinen Büchern wiederfinden können.

Umfeld lernt dazu

Während der Schulzeit beschlagnahmte ich täglich mehrere Stunden lang das Telefon, um Informationen einzuholen und weiterzugeben. Heute telefoniere ich zwar immer noch gerne und viel, aber wirklich spektakuläre Geschichten werden nicht verbreitet, sondern schaffen es stattdessen in meine Romane.
Glücklicherweise verfüge ich über eine sehr witzige Familie und einen Freundeskreis, in dem ständig etwas passiert.

Unglücklicherweise beginnen Gespräche in letzter Zeit immer häufiger mit folgenden Worten: „Was ich dir jetzt erzähle, wird aber nicht in einem deiner Bücher vorkommen, verstanden? Es ist nämlich so peinlich, dass mich XYZ einen Kopf kürzer machen würde, solltest du darüber schreiben!“

Das habe ich gerne! Mich erst heißmachen und dann im Regen stehen lassen! Vielleicht sollte ich mir Gedanken um ein geheimes Pseudonym machen, unter dem ich all diese Peinlichkeiten verarbeiten kann. Wenn das nicht hilft, bleiben nur noch Edeka und das Kino übrig.

B_000006Über die Autorin: Poppy J. Anderson (Homepage, Wikipedia, Amazon) ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die seit Ende 2012 als Selfpublisherin Romane veröffentlicht, welche mittlerweile auch über Rowohlt verlegt werden. Die meisten ihrer Bücher schafften es auf Platz 1 der Bestsellerliste und haben sich insgesamt über eine Million Mal verkauft. Alle Kolumnen von Poppy J. Anderson auf lesen.net.

<Bildnachweis: Rentner, Supermarkt, Fußgänger von Shutterstock>

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