Blumen und Schmetterlinge auf dem iPhone
Steffen Meier beschreibt im Folgenden die ersten Schritte vom Fachbuchverlag Ulmer, über Smartphones zu publizieren. Behandelt wird die "Geschichte" der gegenwärtig neun verlagseigenen iPhone-Apps.
Über iPhone-Apps von deutschen Verlagen wurde viel geschrieben – bei genauerer Betrachtung aber oft nur Marketingfeuerwerke gezündet. Welche besonderen Problemstellungen und Fragen auf einen Verlag bei der App-Erstellung zukommen, blieb größtenteils ungesagt. Gerade aber in einem so jungen Markt sollte ein offener Informationsautausch eigentlich allgemein gewollt sein, um für sich selbst die richtigen Entscheidungen treffen zu können.
Es fehlen oft schlicht die Basics, auch die mitunter entscheidende Rolle der Technik und der Prozesse, aber auch der zugrundeliegenden Strategie wird gerne ausgeblendet. Es wäre schön, wenn dieser Artikel mit ein Anstoß sein könnte, in Zukunft weniger brustschwellendes "Wir machen jetzt auch Apps!", sondern eher neugieriges "Wie macht ihr das?" zu hören und zu lesen.
Deswegen hier ein Praxisbericht, offen und direkt, von drei Spezialisten auf diesem Gebiet, ein kleines Fazit läßt sich der Autor des Artikels natürlich nicht nehmen – wichtiger wäre mir aber hier und andernortens Kommentare, Fragen, Kritik und offene Diskussionen.
Im Sommer 2009 beschlossen der Verlag Eugen Ulmer (Verlagsporträt), zu unserer im März 2010 geplanten Naturbuchreihe "Steinbachs Naturführer" erste Erfahrungen mit iPhone-Applikationen zu sammeln – dies war auch das primäre strategische Ziel.
Fragestellungen wie "Was müssen wir technisch tun?", "Umsetzung allein oder mit Partner?", "Welche besonderen Herausforderungen stellen Fachbuchinhalte hier dar?", aber auch "Wie reagiert der Markt, welches Potenzial könnte hinter Apps stecken?" sollten geklärt werden.
Dazu wurden einige Titel ausgewählt, betreut wurde dies intern von Lektorat und Silke Reuter aus der Buchherstellung, den Part der Datenüberarbeitung/Vorbereitung übernahm Gregor Fellenz von <pagina> in Tübingen (die auch den "konventionellen" Satz übernahmen) sowie Steffen Kohlhagen von Heubach Media in Hamburg, die die App-Erstellung verantworteten.
Mitte Februar gingen die Apps an den Start – Anlaß genug, einmal obige Fragestellungen zum Ablauf, zu den Problemen und Erfolgen genauer zu betrachten. Anlaß aber auch, alle drei Projektbeteiligten direkt zu Wort kommen zu lassen. Verlagsinterne Betreuung
Interne Betreuung
Verlagsintern wurde das Projekt betreut von Silke Reuter, Herstellerin bei VEU:
Wie sah die Konzeption der Apps zu den Naturführern aus?
Die Naturführer-Apps wurden als reine Marketingaktion zum Buch konzipiert und sind eine Auswahl der 50 besten …-Arten des jeweiligen Print-Produkts (bei iTunes: Alpenblumen, Bäume, Vögel, Wildblumen, Schmetterlinge, Pilze, Säugetiere, Insekten, Fische) . Im Buch werden zwischen 1-6 Arten/Artikel auf einer Doppelseite (Texte auf linken Seiten, Abbildungen auf rechten Seiten) vorgestellt.
Das Layout für die Apps wurde auf die einzelnen Artikel ausgerichtet und als eine Art "virtuelle Karte" angelegt. D.h. die Vorderseite zeigt den Artnamen mit dem zugehörigen Foto, die Rückseite den Artnamen mit dem zugehörigen Beschreibungstext. Zwischen diesen beiden Ansichten kann beliebig gewechselt werden.
Verwendet wurde eine abgespeckte Version der Print-Inhalte, d.h. zusätzliche Infos in Kästen, zusätzliche Grafiken, Fotos, Bildlegenden, Beschriftungen, Icons sind entfallen – einerseits, um nicht den vollen Nutzen des Printprodukts zu bieten, andererseits um den technischen Aufwand beim Export aus den verwendeten Satzsystem InDesign gering zu halten.
Das Farbleitsystem haben wir aus Print übernommen, es fungiert hier aber nicht als Einteilungshilfe, sondern lediglich als Farbeffekt. Die einzige Stelle, an der alle Farben im Gesamtüberblick angezeigt werden ist die Übersichts/Inhalts-"Seite". Das Inhaltsverzeichnis ist zweistufig angelegt (Familien > Arten), zur einzelnen Art wurde das Foto in Miniaturansicht gestellt. Ansicht aller Arten zusätzlich von A-Z möglich.
Um das Display voll auszunutzen haben wir keine einheitliche Ausrichtung der Abbildungen vorgenommen, d.h. Hochformatige Fotos stehen im Hochformat, Querformate sind um 90Grad gestürzt und füllen somit auch das komplette Display. Die Texte stehen immer auf das Hochformat ausgerichtet. Um die Zoom-Funktion nutzen zu können haben wir die Bilddateien in doppelter Größe angelegt.
Was wurde noch beachtet?
Ganz klar die Gesamtgröße der .app, damit sie direkt via iPhone geladen werden kann. Anfang des Jahres wurde das UMTS-Downloadlimit auf 20MB hochgesetzt. Das ist aber für stark illustrierte elektronische Fachbücher immer noch ein Problem.
Im übrigen wurden nicht nur Apps für das iPhone, sondern auch Mobipocket-Files für eReader erstellt.
Externe Produktion
Für den externen Produktionsprozess zeichnete Gregor Fellenz, <pagina>, verantwortlich.
Der Produktionsprozess war für die Print-Bücher zum Zeitpunkt der Pro-App-Entscheidung schon angelaufen; welche Schwierigkeiten ergaben sich daraus?
Die Steinbach Bände wurden in einem InDesign-XML-Workflow produziert. Glücklicherweise war bereits ohne die Apps die Zielsetzung im Steinbach Projekt, nach dem Satz und den angefallenen Korrekturen wieder XML-Daten zu exportieren (Roundtripping). Deswegen war der Datenexport für die iPhone App ohne große Probleme möglich. In einer klassischen Printproduktion hätte man prüfen müssen ob systematisch gearbeitet wurde. Je nach Dokumentaufbau ist dann ein Export nur mit großem manuellen Korrekturen machbar.
Was musste technisch für die App-Erstellung geleistet werden?
Die Grundlage für die Mobipocket-EBooks und iPhone Apps bilden xhtml-Daten. Für die Textbereiche und Auszeichnungen haben wir die InDesign spezifische XML-Struktur entsprechend transformiert. Die Bilder wurden automatisch auf die tatsächlich verwendete Größe beschnitten und neu verknüpft.
Für die iPhone-Apps wurden die entsprechenden Datenbestandteile in eine SQL-Datenbank überführt, aus der dann die Apps befüllt wurden. Die Mobipockets wurden direkt aus den Daten zusammengestellt, haben allerdings auch insgesamt weniger Funktionalität. Für den Datenexport kam ein eigens entwickeltes InDesign JavaScript zum Einsatz.
Wie ist denn der Korrekturaufwand einzuschätzen?
Genau, dazu kam noch die Qualitätskontrolle, da wir ja sicherstellen mussten, dass alle Korrekturen aus dem InCopy-Korrekturworkflow und Layoutsatz bei uns im Haus XML-konform ausgeführt wurden.
Was müsste geleistet werden, um die kompletten Bücher als App anzubieten, welche Probleme tauchen eventuell auf?
Mit einem XML-Workflow im Print Bereich ist man natürlich optimal für eine digitale Zweitverwertung vorbereitet. Problematisch sind immer die vielen Abweichungen von der Regel, die für ein schöneres Printlayout in Kauf genommen werden. Dabei sollte natürlich nicht vergessen werden, dass das Printprodukt noch die wesentliche Einnahmequelle der Verlage sind und somit auch das beste Layout verdienen. Letztlich müssen alle Beteiligten schon während des Satzprozesses die digitale Repräsentation im Hinterkopf haben. Auch Teile wie Titelei, Anhänge oder Register müssen digital neu durchdacht und angepasst werden.
Ganz konkret würden die komplexen Zeichnungen im Textbereich, die aus mehreren Legenden, Bildern und Pfeilen außerhalb der XML-Workflows „per Maus“ zusammengesetzt wurden, Probleme bereiten. Diese wurden dann ja auch leider für die Smartphone Version verworfen. Gerade wenn viele verschiedene Anwender mit den Daten in Kontakt kommen ist eine XML-Qualitätskontrolle vor einem automatisierten Export notwendig und zeitintensiv.
Zur Reinen Lehre: Wie kann sich ein Verlag technologisch/prozesstechnisch am besten für die Erstellung von E-Books und Apps aufstellen?
Sofern eine weitgehende automatische Produktion von E-Books oder Apps angestrebt wird, kommt man an einem XML-Workflow nicht vorbei. XML kann, wie bei den Steinbachs, schon während des Satzes eingesetzt werden oder erst danach, beispielsweise aus den Satzdaten, generiert werden. Im letzteren Falle muss sehr systematisch und strukturiert gearbeitet werden. Hierfür ist es notwendig Konventionen für die Autoren und Satzpartner aufzustellen.
XML-Daten schon im Satz zu verarbeiten klingt natürlich zunächst verlockend, weil dann auch schon im Satzprozess automatisiert werden kann, allerdings ist die Unterstützung von InDesign und QuarkXPress in den Standardversionen noch lange nicht ausreichend. Hier müssen dann maßgeschneiderte Lösungen eingesetzt werden, die natürlich auch Kosten verursachen. Eine Prozessentscheidung im Bereich Satz ist immer von der Datenlage, Kompetenz, Dienstleisterlandschaft und Strukturanforderungen abhängig.
Wie sehen Sie denn die digitale Zweitverwertung von Inhalten?
Dass digitale Zweitverwertungen in Zukunft wichtiger werden steht für mich außer Frage, deswegen würde ich jedem Verlag raten schon jetzt die entsprechenden Kompetenzen aufzubauen. Gleichzeitig sollte man die Komplexität nicht unterschätzen – man kann zu Recht von einem Paradigmenwechsel sprechen. Hier ist ein Pilotprojekt allemal sinnvoller als von heute auf morgen die komplette Produktion umzukrempeln. Man sollte dabei auch nicht die Mitarbeiter aus dem Blick verlieren, die den Umgang mit den Technologien und deren Möglichkeiten neben dem gewohnten Produktionsalltag erlernen und anwenden müssen.
Koordination, Finalisierung
Die App-Erstellung koordinierte Steffen Kohlhagen, Heubach Media
32.000 Downloads [Zum Zeitpunkt des Interviews, inzwischen 46.000] mit unseren Apps – wie ist denn Ihre ganz offene Einschätzung dazu? Viel/wenig? Was war denn Ihr "Highlight"?
Mittlerweile 33.500 ist schon einen ordentliche Verkaufszahl, wenn man den kurzen Zeitraum bedenkt; 6000 waren es mal an einem einzigen Tag. Insofern denke ich, dass Sie mit dem Erfolg schon zufrieden sein können. Nach unserer Erfahrung ist es möglich, gute fünfstellige Downloadzahlen pro Tag zu generieren und das auch über einen Zeitraum von mehreren Wochen – der Fairness halber muss man aber dazu sagen: Da war es ein etwas anderes Genre. Aber auch wer es nicht in diese Zahlenbereiche schafft, generiert jeden Tag, jede Minute weltweit weiteres Potenzial, an das man nachhaltig herantreten kann.
Die Apps war ja nach dem Einstellen in den App-Store innerhalb kürzester Zeit verfügbar – auf was muss man sich denn normalerweise einstellen an Wartezeit?
Die Prüfzeit ist leider immer noch ein "Glücksspiel" Apple behält sich immer eine Prüfzeit vor. Wichtig ist es, sich an die Regeln von Apple zu halten. In den letzten Wochen wurde aber an Performance bei uns und auch bei Apple gewonnen, von etwa 4 Wochen auf 2-3 Werktage.
Auch hier ganz offen: Bei 30.000 Downloads ist die Neigung groß, kostenpflichtige Apps nachzuschieben. Aufgrund Ihrer Erfahrung mit anderen Verlagen, wie wäre denn hier die ConversionRate von kostenlosem Download zu Verkaufsapps?
Das ist leider in einem so "jungen" Markt schwer zu sagen. Dabei steht im Raum: "Wer kauft da eigentlich Ihre Produkte (nicht Bücher)?" Ich persönlich behaupte, dass dies nur zu einem Teil "klassische Buchkunden" sind – ein weitaus interessanterer Teil sind "Content-Bedürftige", die nichts mit dem "Ich geh mir jetzt Buch kaufen/bestellen" in der Regel zu tun haben und vielmehr auf der "kurzen" Suche nach interessanten Themen für ihr neues Abspielgerät sind. Das ist auch ein Teilerfolg Ihrer Produkte. Allerdings sind "Höhenflüge" wie bei Spielen von mehreren 100.000€ eher nicht zu erwarten.
Welche multimedialen Möglichkeiten, aber auch Rückkanäle von Endkunde zu Verlag, gibt es denn?
Es gibt da diverse von uns realisierte Ansätze, dem Kunden ein Stück näher zu kommen als wir schon sind. Allerdings gibt es auch hier zwei Kernfragen:
- Ist der Verlag bereit, so ein Feedback auch zu verarbeiten? Inhaltlich werden Ihre Werke von 1000en von Personen untersucht, die die Geschwindigkeitsvorteile von E-Mails kennen. Der Verlag bekommt bei 100 verkauften Einheiten nicht 3 Zuschriften sondern 50 Stück; zudem wird das Feedback im App Store ohne Verlags- oder Entwickler Filterung den Kunden "Rundum den Globus" zur Verfügung gestellt.
- Welchem Kunden wollen Sie näher kommen? Dem Kunden, der alles Gratis haben möchte oder dem Kunden, der bereit ist für guten Inhalt auch einen fairen Preis zu bezahlen?
Fazit
Wenn das strategische Ziel der Aktion eine "Machbarkeits-Studie" war, so wurde das Ziel erreicht. Auch mit dem Resultat der Downloadzahlen kann man zufrieden sein, immerhin gab es kein wirklich konzertiertes Verlagsmarketing.
Um Fachbuchinhalte Smartphone-fähig zu machen – und zwar für den Verkauf – bedarf es deutlich mehr. Stichworte sind hier Prozessänderungen in der Herstellung (wenn man Gregor Fellenz Beitrag liest, wundert man sich nicht, dass so viele Verlags-Apps aus dem belletristischen Bereich kommen), Aufbau einer Vermarktungs-, vor allem aber auch inhaltlicher, Preis- und Verkaufsstrategie. Aber auch das Handling des Kundenfeedbacks, wie Steffen Kohlhagen richtig anmerkt, kann zu einem mentalen wie Ressourcenproblem werden.
Hier bleibt noch sehr viel zu tun – für uns, aber auch für andere Verlage. Und bei allem reden wir immer noch über weitgehende 1:1-Adaptionen gedruckter Bücher, die ja nur der erste Schritt in das Reich digitalen Publizierens sein können.
Kommentare
Steffen Meier 16. März 2010 um 10:17
Nachtrag: Gregor Fellenz von hat übrigens auch ein (technisch) sehr interessantes Blog unter http://www.indesignblog.com
Wibke Ladwig 25. März 2010 um 15:17
Buchmessebedingt habe ich mir diesen Beitrag erst heute zu Gemüte führen könnne. Herzlichen Dank dafür. Ein spannender Bericht. Wenn alle Verlage so offen mit ihren Überlegungen und Vorgehensweisen umgehen würden, wären vermutlich allen ein oder zwei Schritte weiter. Daß es mit der 1:1-Umsetzung nach "Erledigung" des Buch in Printform asl eBook quasi als Zweitverwertung nicht getan ist, müsste vielleicht noch deutlich auch in den Verlagen diskutiert werden.
Stefan Scholz 30. März 2010 um 13:51
Ich möchte auch ein Danke aussprechen für diesen offenen Einblick in diesen Aspekt der Digitalisierungspraxis.
Sind Verlage & Mitarbeiter fit für die digitale Zukunft? » Debatte » lesen.net 17. August 2010 um 11:57
[…] werden müssen. Wie geht man zum Beispiel in Lektoraten, Redaktionen und Herstellungsabteilungen bei der sinnvollen Produktion von Apps vor, wenn viele nicht über ein Smartphone verfügen und entsprechend keine Erfahrungen mit Apps […]