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Amazon.de hat Ärger mit verkauften Rezensionen

Firmen können Rezensionen auf Amazon.de kaufen, und zwar beim Online-Händler selbst. Amazon macht das auch publik, selbst den meisten Amazon-Stammkunden dürfte der Handel mit Produktbewertungen aber gänzlich unbekannt sein. Und Rezensionen-Käufer Samsung hat den Bogen jetzt offenbar überspannt. Auch in der Buchbranche werden Rezensionen verschachert.

"Club der Produkttester" nennt Amazon seinen Vine-Dienst. Das Konzept dahinter: Vine-"Mitglieder" bekommen von Firmen Produkte bereitgestellt – teils vor dem Verkaufsstart –, die die Nutzer dann auf Amazon zu bewerten haben. Idealerweise ein gutes Geschäft für alle Seiten: Beteiligte Firmen bekommen Bewertungen von renommierten Rezensenten, die im Online Shopping wichtige und im Endeffekt geldwerte Vertrauens-Signale sind. Amazon bekommt Geld für die Marketing-Maßnahme von den Firmen und umsatzfördernde Bewertungen. Und die Vine-Mitglieder können sich über kostenlose Produkte freuen, die sie in der Regel auch behalten dürfen.

Samsung Tablet: Gratis für Amazon-Vine-Rezensenten

Samsung Tablet: Gratis für Amazon-Vine-Rezensenten

Amazon betont auf seiner Info-Seite, Vine-Mitglieder seien frei in der Bewertung von Produkten, eine Beeinflussung durch die Hersteller gebe es nicht. Genau bei diesem entscheidenden Punkt scheinen es alle Beteiligten aber nicht ganz so genau zu nehmen. heise-Redakteur Christian Wölbert berichtete am gestrigen Mittwoch davon, wie die Amazon-Vine-Kampagne eine von Samsung initiierte Produkttester-Kampagne zu ihrem Tablet Galaxy Tab S abgelaufen ist. Produkt-Tester durften das 400-600 Euro Tablet infolge ihres Testes behalten – aber nur, wenn die Rezension final von Samsung abgenickt wurde. In Anbetracht des Produktwertes war die Motivation für eine hohe Bewertung da natürlich hoch, folgerichtig gab es von den 20 Produkt-Testern 15x fünf Sterne und 5x vier Sterne. Parallel schaltete Samsung bei Amazon auch noch eine Vine-Kampagne, die 25 ebenfalls weit überdurchschnittlich wohlwollende Rezensionen generierte.

Amazon weist Vine-Rezensionen deutlich als solche aus. Dass der durchschnittliche Amazon-Kunden weiß, was dahinter steckt – sprich: dass diese Rezensenten das Produkt geschenkt bekamen –, darf aber als ausgeschlossen gelten. Transparenz geht anders, etwa mit einem klaren "Sponsored by" Hinweis.

"Gekaufte" Rezensionen Usus in der Verlagsbranche

Der Aufschrei in der Buchbranche ob dieser Praktiken des aktuellen Erzfeindes blieb bislang aus – vielleicht auch, weil ähnliche Praktiken absoluter Usus im Verlagsbereich sind. Das Portal Vorablesen etwa bewirbt die Organisation seiner Leserunden mit "garantierter Leserstimmenverbreitung", garniert mit einem Amazon-Logo. Das kann sich jeder selbst übersetzen. Vorablesen gehört übrigens zum Bonnier-Konzern, der derzeit mit Amazon im Konditionen-Klinch liegt.

Auch die Verlagsgruppe Holtzbrinck betreibt mit Lovelybooks ihr eigenes Rezensionen-Generierungs-Portal. Mittels "Lesechallenge" "verteilen die Leser hunderte Rezensionen auf dutzenden Buchseiten und streuen Leseempfehlungen in allen großen Social Networks", heißt es hier in den Media-Daten. Kostenpunkt für Verlage: "Auf Anfrage".

Eine Frage der Transparenz

Solche Marketing-Aktionen grundsätzlich zu verteufeln, greift zu kurz (was wir selbstverständlich nicht nur deshalb schreiben, weil es in unserer Community bald ebenfalls Leserunden geben wird). Letztlich steht und fällt die Bewertung von Rezensionen von gestellten Produkten mit den konkreten Rahmenbedingungen.

Das bedeutet: Ist für Leser der Rezension ersichtlich, dass der Rezensent das Produkt nicht bezahlen musste und gegebenenfalls sogar behalten darf (umso teurer das Produkt, desto wichtiger dieses Detail)? Sind diese Rezensenten wirklich frei in ihrem Bewertungs-Spielraum? Zumindest unter psychologischen Gesichtspunkten muss dieser Punkt fast immer verneint werden. Zum einen mag es eine empfundene Verbundenheit zum "Schenkenden" geben (den man nicht vor den Kopf stoßen will). Zum anderen dürften Buchblogger wie Social-Reading-Community-Mitglieder wohl zurecht davon ausgehen, dass sie von einem Verlag, dessen Bücher sie regelmäßig schlecht bewerten, wohl nicht mehr lange mit Gratis-Exemplaren bedacht werden.

Immerhin müssen sich Lesefreunde nie ganz auf die Neutralität von Rezensionen verlassen: Mittels Leseprobe kann man sich flink seine eigene, individuelle und garantiert unbeeinflusste Meinung vom Produkt bilden. Online-Käufer anderer Waren sollten uns darum beneiden.

<Bildnachweis: Sterne von Shutterstock>

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Kommentare


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Martin 1. Juli 2017 um 15:21

Amazon hat mit den Änderungen im letzten Jahr sicherlich für viel Aufregung gesorgt, weil es vor allem über die Facebook-Gruppen und ein paar Dienstleister einfach überhand nahm. Das Problem, dass Händler und Produkttester direkten Kontakt haben und der Händler quasi auch die Bewertung kontrollieren und einsehen kann (das Amazon-Profil des Produkttesters wurden immer verlangt). Genau das ist eben, was Amazon nicht möchte. Bewertungen grundsätzlich schon, um dem Käufer mehr wichtige Informationen und Erfahrungswerte vor dem Kauf zu geben.

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Barbara Schöne 25. November 2017 um 08:59

Die Amazon Vine Rezensionen sind zu 95 % Fake. Amazon weiß das und toleriert das, wenn es nicht sogar stillschweigend unterstützt. Gegen Vine Fakerezensionen hat man rein gar nichts. Hauptsache, die 5 Sterne Bewertungen sind vorhanden.

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Woran du Fake-Rezensionen erkennst (und woran nicht) » lesen.net 30. April 2018 um 11:41

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