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Börsenverein fordert Regulierung von Amazon, verdreht Fakten

Der Börsenverein des deutschen Buchhandel schlägt im Zusammenhang mit dem Konditionen-Streit scharfe Töne gegen Amazon an. Börsenverein-Chef Alexander Skipis wirft dem Online-Händler vor, Erpressung "auf dem Rücken von Kunden und Autoren" zu betreiben. Außerdem wird das abgeschottete Kindle-System bemängelt – wer dafür maßgeblich verantwortlich ist, blendet der Lobbyverband der deutschen Buchbranche aus.

"Amazon lässt seine Maske fallen", urteilt Skipis in einer Stellungnahme des Börsenverein vom heutigen Dienstag. Die Verlängerung von Lieferzeiten bei Verlagen, mit denen man gegenwärtig verhandele, sei Erpressung mit dem alleinigen Ziel, weitere Marktanteile zu gewinnen. "Dabei sind Autoren und Kunden dem Unternehmen letztlich gleichgültig. (…) Doch die Autoren werden sich das langfristig nicht gefallen lassen. Schließlich geht es um ihre Inhalte und schließlich entscheiden sie selbst darüber, welche Vertriebswege sie nutzen." Hier ist freilich der Wunsch Vater des Gedanken: Gegenwärtig publizieren gerade Indie-Autoren eher exklusiv über Amazon als am Online-Händler vorbei und die Kundschaft ist hochzufrieden mit dem Unternehmen.

Skipis forderte als Konsequenz auf die marktbeherrschende Stellung von Amazon, "das deutsche Kartellrecht an die Gegebenheiten eines digitalen Marktes anzupassen". Der Vorsteher Geschäftsführer bringt hier durchaus Stallgeruch mit: Bevor Skipis beim Börsenverein anheuterte, war er Abteilungsleiter in der hessischen Staatskanzlei vom damaligen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch.

Ursache und Wirkung vertauscht

Eine mögliche Konsequenz aus einem gesetzlichen Eingriff formulierte Skipis bereits am Freitag: Denkbar sei "die Verpflichtung von reinen Onlinehändlern mit Monopolcharakter wie Amazon zur Öffnung der bislang proprietären Kindle-Formate für andere Händler bzw. Verlage". Wie eine "Öffnung" des Kindle-Formates aussehen soll und vor allem was Verlage damit zu tun haben, bleibt offen.

Hier, noch deutlicher aber an einer anderen Stelle der gleichen Pressemitteilung werden Ursache und Wirkung verdreht. Dort heißt es: "Gleichwohl führt die Tatsache, dass der Kindle ein geschlossenes System ist dazu, dass Verlage ihre E-Books an Kindle-Kunden eben nur über Amazon verkaufen können." Das ist Unfug: E-Books von Verlagen wie Bastei Lübbe lassen sich problemlos auch bei Thalia & Co. kaufen, mit zwei Klicks ins azw-Format konvertieren und auf den Kindle übertragen. Umgekehrt können zehntausende E-Books im Sortiment von Amazon ins epub-Format konvertiert und auf Tolino Vision & Co. geschmökert werden.

Tatsächlich ist harter Kopierschutz der Grund für die abgeschotteten Ökosysteme, und verantwortlich dafür sind allein die Verlage. Nach der gleichen Logik könnte das geschlossene System Adobe angeprangert werden. Das sollte auch Alexander Skipis wissen, ansonsten hat der Vorsteher Geschäftsführer des Börsenverein seinen Job verfehlt.

Wunsch nach mehr Regulierung hat viele Fürsprecher

Ob bewusstes Verdrehen der Tatsachen der richtige Weg ist, politische Forderungen zu artikulieren, erscheint doch sehr fraglich. Das ist umso ärgerlicher, als dass die Forderungen nach einer größeren staatlichen Kontrolle von aggressiv auftretenden Internet-Marktführern zahlreiche Fürsprecher haben, auch in der Politik. So unterstrich Hannelore Kraft, SPD-Bundesvorsitzende sowie Ministerpräsidentin von NRW, erst an diesem Morgen die Notwendigkeit eines angepassten Kartellrechtes. Sie wird allerdings eher Google als Amazon im Hinterkopf gehabt haben.

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Kommentare


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