boox.to und die Alternativen: Die große Abzocke
Das plötzliche Aus von boox.to kurz vor Weihnachten hinterlässt eine Lücke in der deutschen eBook-Warez-Landschaft und wirft einige Fragen auf. Um ihre Abogebühren geprellte Kunden sind verärgert – sie stehen am Ende einer langen Reihe von auf illegalen Angeboten ausgenommenen Konsumenten.
Wie berichtet ging die bekannteste deutsche Warez-Seite boox.to am 17. Dezember völlig überraschend offline. Auf der Startseite zeichnete sich die bis dahin unbekannte "Real Warez Alliance" ("against commercial warez") für einen Hack der Plattform verantwortlich. Wenig später wurde diese Page von einer weißen Seite mit dem Hinweis "wir kommen zurück" abgelöst. Das Versprechen währte aber nur eine Woche: Seit Heiligabend ist ein Kreuz auf boox.to zu finden, plus der Hinweis, die Domain sei zu verkaufen.
Schon im Oktober, als boox.to-Lautsprecher Spiegelbest seinen Hut nahm, schrieben wir von "Auflösungserscheinungen" bei der Warez-Plattform, die durch ihren offensiven Auftritt auch im Fokus der Strafverfolger stand. Das schnelle Ende erstaunt dann aber doch. Dazu gibt es zwei Theorien, die sowohl in unserem Forum (bislang 151 Beiträge zur "Hack-Meldung") als auch in den einschlägigen Warez-Boards diskutiert werden.
Theorie 1 geht davon aus, dass die verschlüsselte Zeichenkette im Quelltext der gehackten Seite (wir berichteten) tatsächlich persönliche Daten der boox.to-Betreiber enthielt. Die Drohung des Hackers "Wir wissen, wer ihr seid!" sei demnach real gewesen, die Einstellung der Seite ist also sozusagen das Ergebnis einer erfolgreichen Erpressung.
Theorie 2 besagt, der ganze Hack sei fingiert – die Betreiber hätten einen Angriff auf die eigene Seite simuliert, um sich elegant aus der Schusslinie zu bringen. Vorher habe man noch Kasse gemacht: Seit dem 01. Oktober war boox.to nur noch kostenpflichtig nutzbar, ein drei Monate gültiger Zugang kostete 10 Euro. In den ersten Dezembertagen werden mutmaßlich viele "Altkunden" ihren Beitrag erneuert haben.
Kurz vor dem vermeintlichen Hack wurde vom einstigen boox.to-Sprecher Spiegelbest eine neue eBook-Warez-Plattform namens lul.to beworben, die ebenfalls kostenpflichtig ist. Hinter dieser Seite werden von Vertretern von Theorie Nummer 2, hauptsächlich geprellte Kunden von boox.to, dieselben Hintermänner vermutet.
Kleiner historischer Abriss: Cracked Dialer, Abofallen, Adware
Warez-Anbieter inszenieren sich gerne als Robin Hoods, die Konsumenten freien Zugang zu Inhalten verschafften, die die "Contentmafia" in ihren Klauen halte und allenfalls völlig überteuert abgebe (was wiederum Piraterie rechtfertige). Tatsächlich geht es aber den Web-Warez-Anbietern, die von der breiten Masse genutzt werden, ausschließlich ums Verdienen von möglichst viel Geld, egal mit welchen Mitteln. Immer wieder wurden Konsumenten dabei mit kriminellen Methoden über den Tisch gezogen.
So machten noch zu DM-Zeiten sogenannte "cracked dialer" die Runde. Dialer waren Zugangsprogramme, über die sich Modem-Nutzer über 0190/0900-Einwahlnummern Zugang zu kostenpflichtigen Diensten, größtenteils Sexseiten, verschaffen konnten (an Youporn & Co war damals ja noch nicht zu denken). Die horrenden Kosten von 3,60 DM pro Minute oder über 50 Mark pro Einwahl waren schon grenzwertig, zumindest aber war der Preis ausgewiesen. Auf zahlreichen Warez-Seiten kursierten zur Jahrtausendwende vermeintlich gecrackte Dialer, bei denen für die Nutzer angeblich keine Kosten anfallen würden – großes Piratenversprechen. Die Geschichte in Kürze: Natürlich waren die Dialer nicht gecrackt, die größtenteils jugendlichen Nutzer wurden mit vierstelligen Telefonrechnungen konfrontiert (beziehungsweise ihre Eltern) und die Piraten konnten sich über dicke Provisionen freuen.
"Kein Schwachsinn", na dann…(Anzeige auf lesen.to)
Mitte des letzten Jahrzehnts waren dann Abo-Fallen populär. Vermeintlich gratis nutzbare Dienste etwa zum Verschicken von SMS entpuppten sich im Kleingedruckten als 24-monatige Abonnements, bei Verweigerung der Zahlung wurde schnell mit der juristischen Keule gedroht. An vorderster Werbefront auch hier: Warez-Anbieter. Um sich die aktuellen Abzock-Moden anzusehen, reicht es schon, einmal ohne Adblocker eine einschlägige Download- oder Streaming-Seite zu besuchen: Mit einem falschen Klick holt man sich sich verstreckte Adware auf den Rechner (getarnt als "Streaming-Plugins"). Selbst eBook-Seiten sind außerdem zugepflastert mit Porno- und Viagra-Werbung, die man häufig nicht einmal mehr blockieren kann: Die ersten Seiten sind mit aktiviertem Adblocker nicht mehr zugänglich.
lul.to: Nächste Bezahlseite am Start
lul.to als sozusagen inoffizieller Nachfolger von boox.to knüpft wohl nahtlos an diese Tradition an. eBooks kosten nur symbolische Preise unter 10 Cent pro Buch, den Betreibern geht es offensichtlich vor allem um möglichst viele möglichst hohe Einzahlungen. So fallen bei Zahlung von 10 Euro via Paysafcard Bearbeitungsgebühren in Höhe von 25 Prozent an, bei der Einzahlung von 50 Euro entfällt die Gebühr. Die Vermutung liegt nahe, dsas lul.to früher oder später den gleichen Weg geht wie boox.to und wiederum viele geprellte Kunden hinterlässt.
Schadenfreude fehl am Platz
Das Ende von boox.to wird in der Buchbranche zweifellos mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, der Erfolg und die offensive Kommunikation der Seite (bis hin zu einem Interview des Pressesprechers im Tagesspiegel) in Kombination mit der offensichtlichen Hilflosigkeit der Strafverfolger war vielen ein Ärgernis. Mit einem "Weiter so" ist aber keiner Seite geholfen. Händler können sich von der einfachen Zugänglichkeit von boox.to eine Scheibe abschneiden – nebst dem Verzicht auf hartes DRM, für dessen Nutzlosigkeit das breite Sortiment von boox.to mal wieder ein prima Beispiel war (und ja, auch im privaten Kreis ist DRM entfernen ein verbreitetes Kinderspiel). Außerdem hat die Plattform gezeigt, dass es selbst bei nebulösen eBook-Flatrate-Angeboten einen großen Bedarf und eine Zahlungsbereitschaft gibt (wobei die verlangten 3,33 Euro Monatsbeitrag legal natürlich für keine Seite auskömmlich wären).
Ohne ehrliche Leser geht es nicht
Aber auch Konsumenten haben zu lernen, dass sie kein gottgegebenes Recht auf freien Zugang zu kommerziellen kulturellen Inhalten haben – auch ohne drastische Kampagnen wie in Russland, wo die Kreativszene zunehmend verzweifelt auf die grassierende Piraterie reagiert. Das Pricing eines eBooks obliegt letztklich Autor und Verlag: Wird es vom Leser als zu teuer empfunden, ist eine Nicht-Nutzung nicht nur die ehrlichere Maßnahme (ein als zu teuer empfundener Käse im Supermarkt wird ja auch nicht geklaut), sondern auch konsequenter. Wird das "Buchgeld" direkt (Zahlschranke) oder indirekt (Werbung) Piraten in den Rachen geworfen, haben legale Angebote keine Chance, sich zu etablieren.
Kommentare
Warum ist TorBoox wirklich offline? 31. Dezember 2013 um 12:36
[…] Haupt von lesen.net behauptet, es habe die große Abzocke gegeben. Doch abgezockt wurden vor allem die Verlage und die […]
GfK: Nur jeder zweite E-Reader-Besitzer kauft eBooks » lesen.net 27. März 2014 um 11:13
[…] die man nur mit attraktiven legalen Alternativen zur Bezahlung bewegen kann. Dass es aktuell keine mit dem “alten” boox.to gleichwertige illegale E-Book-Seite gibt, ist ein zeitlich begrenzter Glücksfall für die […]
E-Book-Piraterie-Studie: Schließung von boox.to ohne Folgen » lesen.net 29. April 2014 um 17:06
[…] bekanntlich mit einem Abo-Modell zur Kasse. In diese Fußstapfen versuchten einige Anbieter zu treten – der erfolgreichste, lul.to, weist allerdings nach Auswertung von Bonik/Schaale […]
Download-Forum boerse.bz sperrt Deutsche aus » lesen.net 16. Juli 2014 um 12:24
[…] die IP-Sperre von Dauer, ist sie für die Buchindustrie noch bedeutsamer als die Offline-Schaltung der zwar publizitätsstarken, aber im Vergleich marginalen E-Book-Download-Seite boox.to Ende […]
eBook-Piraterie-Razzia, ein Jahr danach: Alles auf Anfang – fast » lesen.net 10. Mai 2017 um 11:33
[…] Plattformen. Bei einem 3-Euro-Titel wird aber sicherlich häufiger auf einen Abstecher auf eine mit großflächiger Abzock-Werbung zugepflasterte Download-Seite verzichtet als bei einem […]