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Ein Jahr Tolino-Allianz: Strauchelnder HoffnungstrÀger

Im MÀrz 2013 bildete sich eine einzigartige Allianz aus untereinander konkurrierenden Buchhandelsketten und der Deutschen Telekom, um der Kindle-Dominanz im hiesigen E-Book-GeschÀft etwas entgegenzusetzen. Ein Jahr spÀter fÀllt das Bild gespalten aus. Nach Anlaufschwierigkeiten hat die Tolino-Allianz Amazon dank konkurrenzfÀhiger Hardware und aggressivem Marketing tatsÀchlich Marktanteile abnehmen können, allerdings zu einem hohen Preis.

Allianz der AbgehÀngten

Seite an Seite prÀsentierten Michael Busch, Carel Halff, Nina Hugendubel sowie Vertreter von Bertelsmann und von der Deutschem Telekom im MÀrz 2013 den Tolino Shine. Thalia und die DBH (Hugendubel, Weltbild), jahrzehntelange Rivalen in der deutschen Buchhandelslandschaft, hatten sich im Angesicht der marktbeherrschenden Stellung von Amazon im E-Reading-Bereich tatsÀchlich zusammengetan. Thalia versenkte zuvor bereits viel Geld mit dem Versuch, seinen Oyo als eigenen Kindle-Rivalen aufzustellen. Weltbild und Hugendubel beschrÀnkten sich lange auf einfache und gÌnstige Trekstor-GerÀte, die sich zwar durchaus gut verkauften, aber technisch Lichtjahre hinter der Amazon-Plattform waren.

Mit dem Tolino Shine prÀsentierte die so genannte Tolino Allianz dann einen eBook Reader, dessen Hardware tatsÀchlich fast auf Augenhöhe zum Klassenprimus Kindle Paperwhite lag. Hinzu kam 25 Gbyte Speicherplatz in der Telekom Cloud nebst dem Versprechen eines Àhnlich flÌssigen Kauf- und Sync-Prozesses wie bei Amazon.

Tolino Shine offensichtlicher Schnellschuss

Auf der Software-Seite haperte es freilich anfangs noch gehörig: Die Akualisierungen der Apps verliefen rumpelig, und – ungleich schlimmer – die Firmware des Tolino Shine war zum Verkaufstart alles andere als ausgereift. Notizen, Hervorhebungen, ORdner, anpassbare Textausrichtung und ZeilenabstÀnde und und und – bei Amazon, aber auch bei Kobo oder Sony seit vielen Jahren ÃŒbliche Funktionen ließ der Tolino Shine vermissen. Nicht einmal eine Textanzeige im Querformat war möglich. In sofern reichte es in unserem ersten Test nur fÃŒr ein "befriedigend". Möglicherweise wollten sich die Tolino-Alliierten die im letzten FrÃŒhjahr um sich greifende Anti-Amazon-Stimmung zunutze machen und rollten ihr LesegerÀt darum vor Plan aus, möglicherweise unterschÀtzten sie die Erwartungshaltung der von Kindle & Co. verwöhnten Lesefreunde.

Eine millionenschwere Werbekampagne im Verbund mit krÀftigen Rabattierungen des ohnehin gÌnstigen Preises (rechnerisch bis zu 30 Euro unmittelbar nach Verkaufsstart) sorgte trotzdem dafÌr, dass sich zumindest Weltbild von Beginn an zufrieden mit den VerkÀufen zeigte. Im Mai wurden dann mit dem lange angekÌndigten ersten Firmware Update einige essentielle Funktionen nachgerÌstet, zur Frankfurter Buchmesse im Oktober gab es Ìber ein weiteres Update die "BibliotheksverknÌpfung", sprich die Synchronisation von eBooks Ìber verschiedene Tolino Stores hinweg.

Mit Firmware Updates auf Augenhöhe zum Kindle

Werbeanzeige von Thalia in der SZ

Werbeanzeige von Thalia in der SZ

Im Oktober wurden neben einem hardwareseitig marginal verbesserten Tolino Shine auch zwei von Trekstor gefertigte Tolino Tablets vorgestellt. Damit zog die Tolino-Allianz im Bezug auf die offerierte Hardware mit Amazon gleich. Anders als das US-Unternehmen verkauft die Tolino-Allianz ihre Tablets mit offenem Android-Betriebssystem – wohl auch darum, weil die beteiligten Buchhandelsketten anders als Amazon eben nicht selbst als MP3-, App- und Online-Video-VerkÀufer auftreten (was Amazon wesentlich mehr Möglichkeiten zur Subvention und Querfinanzierung bietet).

Nach der Frankfurter Buchmesse testeten wir den neuen Tolino Shine mit aktueller Firmware und hatten es diesmal mit einem wirklich guten StÌck Technik zu tun. Ergebnis der guten Arbeit: Im Dezember wurde die Tolino-Allianz auf lesen.net zum Hersteller des Jahres 2013 gewÀhlt.

Allerdings hÀuften sich zum Jahresende auch die Hiobsbotschaften rund um die Tolino-Allianz. So scheiterte das angestrebte BÃŒndnis mit dem unabhÀngigen Buchhandel, der Tolino ist bis heute ein reines Projekt der großen Buchhandelsketten plus Telekom. Die Tolino Tabs wurden im WeihnachtsgeschÀft immer wieder massiv verbilligt und sind es inzwischen dauerhaft, der ursprÃŒnglich angesetzte Verkaufspreis erwies sich nicht als konkurrenzfÀhig. Auch auf den Tolino Shine gab es im WeihnachtsgeschÀft krÀftige Rabatte, zeitweise war er fÃŒr 77 Euro oder nebst gratis HÃŒlle im Wert von 30 Euro erhÀltlich.

37 Prozent Marktanteil wies die GfK Ende 2013 fÌr die Tolino-Allianz aus. Doch dieser Marktanteil war teuer erkauft, der Triumpf nur von kurzer Dauer. Nur einen Monat spÀter meldete Weltbild Insolvenz an, einer der beiden tragenden Pfeiler der Tolino-Allianz. Auch hinter der Zukunft von Hugendubel stand lange ein Fragezeichen, inzwischen hat sich die einst eng mit Weltbild verbandelte Buchhandelskette weitgehend gelöst und steht angeblich auf sicheren Beinen.

Mit der Weltbild-Pleite und dem damit einhergehenden massiven RÃŒckbau des Filialnetzes bei Weltbild und Hugendubel (wovon so prestigetrÀchtige LÀden wie die Hugendubel-Filiale am Marienplatz betroffen sind) verliert die Tolino-Allianz massiv an stationÀrer VisibilitÀt. Von Hardware- und Firmware-Entwicklung bis hin zur Vermarktung – Thalia und Weltbild teilten sich im WeihnachtsgeschÀft sogar einen TV-Spot – wird es ohne einen zweiten starken Partner schwer fÃŒr Thalia. Die Telekom (pageplace) und Bertelsmann (pubbles) haben ihre ohnehin eher feigeblÀttrigen Endkundenmarken seit Tolino-Start eingestellt (Bertelsmann hat noch derclub.de, viel wird darÃŒber aber nicht passieren).

Tolino Vision: Zweite E-Reader-Generation vor der TÃŒr

Aber auch mit einem Weltbild-Konzern vor einer ungewissen Zukunft muss es fÃŒr die Tolino-Allianz weitergehen. In den nÀchsten Wochen steht der Verkaufsstart des Tolino Vision auf der Agenda, der zweiten "echten" eBook-Reader-Generation des Zusammenschlusses. Ob die Tolino Tablets Nachfolger haben werden, steht derweil in den Sternen – die Hardware ist fÃŒr BuchhÀndler schwer quersubventionierbar, der Markt extrem umkÀmpft. Daneben gab es in den letzten Monaten Bestrebungen, die Zahl der Exklusiv-Titel auszubauen und hier ein Gegengewicht zur Indie- und AmazonCrossing-Flut der Kindle-Plattform zu setzen (die durch den deutschen Amazon-Verlag noch zunehmen wird). Weil nicht gerade KerngeschÀft, wird es auf diesem Feld infolge der Weltbild-Pleite nun vielleicht aber erst einmal keine Bewegung geben.

Weltbild-KÀufer hat Schicksal der Allianz in der Hand

Bis zur schwarzen Null im Digital-GeschÀft ist es fÌr die Tolino-Alliierten auf jeden Fall noch ein weiter Weg. Mut zu und Bereitschaft fÌr Investitionen und Kooperationen Ìber feindliche GrÀben hinweg sind jetzt zweifellos da. Ob die Offensive nicht aber schon zu spÀt kommt gegen eine extrem ausgereifte Amazon-Plattform (die sich in den letzten Jahren aber auch schon FehlschlÀge leistete) und in wieweit sie von den aktuellen Turbulenzen ausgebremst wird, lÀsst sich jetzt noch nicht beurteilen. Vieles wird davon abhÀngen, in was fÌr HÀnde Weltbild fÀllt und was der neue Eigner mit der Buchhandelskette im Schilde fÌhrt.

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Kommentare


E-Reader-Vergleich | Kindle-Tipps.de 12. Juli 2014 um 01:05

[…] Neben Ama­zons Kindle buh­len viele wei­tere Modelle um die Gunst des KÀu­fers. In Deutsch­land wÀre da vor allem der Tolino-Reader zu nen­nen, der von einer Alli­anz ein­fluss­rei­cher Fir­men ver­mark­tet wird. Neben der Tele­kom, dem Weltbild-Verlag und der Thalia-Kette gehört auch Ber­tels­mann zur Gruppe. Den Tolino gibt es seit etwas mehr als einem Jahr, das GerÀt konnte seit dem Start im MÀrz 2013 einen beacht­li­chen Markt­an­teil von 37 Pro­zent in Deutsch­land errei­chen. Eine detail­lier­tere Ana­lyse des ers­ten Tolino-Jahres gibt es bei Lesen.net. […]

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