Japan: Großer Erfolg für professionelle Buchscanner
Viele gedruckte Bücher sind momentan überhaupt nicht, nur für viel Geld und/oder mit gängelndem Kopierschutz versehen in digitaler Form zu haben; gerade bei nicht-englischsprachiger Literatur gibt es nach wie vor große Lücken im Sortiment. In Japan hat dieser Umstand nun innerhalb kürzester Zeit zur Herausbildung einer ganzen Subbranche geführt: Mehrere Dutzend Unternehmen mit Hunderten Mitarbeitern wandeln die Printbücher ihrer Kundschaft gegen eine kleine Gebühr in eBooks um.
Der australische Sydney Morning Herald beschreibt Status Quo und Rahmenbedingungen dieser interessanten Dienstleister: Während sich digitales Lesen in Japan grundsätzlich großer Beliebtheit erfreut und Lesegeräte schon heute eine gewaltige Verbreitung haben – allen voran das iPad -, mangelt es an lokalisierten Inhalten. Neben den auch aus Deutschland bekannten Hemmnissen Rechtehandel und Pricing kommen viele Geräte beziehungsweise Anwendungen noch nicht mit japanischen Schriftzeichen klar.
Gleichzeitig ist insbesondere in urbanen Teilen der 130-Millionen-Einwohner-Insel Wohnraum ein ausgesprochen knappes und kostbares Gut, was bibliophilen Menschen natürlich nicht gerade in die Karten spielt – den Platz für eine große Sammlung physischer Bücher werden nur wenige Japaner erübrigen können oder wollen. Yusuke Ohki sah sich mit seinen 2000 Büchern im vergangenen Sommer mit genau diesem Problem konfrontiert – nun, sechs Monate später, leitet er ein Scanning-Unternehmen mit 120 Mitarbeitern.
Rund 60 solcher Dienstleister gibt es bereits in Japan. Der Scan eines kompletten Buches kostet gerade einmal 100 Yen (0,89 Euro); wer seine Literatur selbst einscannt und einen halbwegs angemessenen Stundenlohn für sich berechnet, käme auf einen vielfach höheren Preis – selbst, wenn er eine hocheffiziente selbstgebaute Buchscan-Maschine sein Eigen nennt. Momentan muss man als Kunde allerdings mehrere Monate Geduld mitbringen, bis der eigene Auftrag bearbeitet wird; die Anbieter rüsten aktuell technisch auf, um der riesigen Nachfrage gerecht zu werden.
Die Anbieter machen sich bei ihrem Treiben eine Grauzone in der lokalen Gesetzgebung zunutze: Während die selbst vorgenommene Digitalisierung für den Eigenbedarf in Japan grundsätzlich legal ist, wird fürs Scannen durch einen Dienstleister eigentlich die Genehmigung vom Buchverlag benötigt. Bei der Auftragserteilung haben Kunden darum per Checkbox zu bestätigen, dass ihnen eine solche Genehmigung vorliegt – in den meisten Fällen wohl eine glatte Lüge (analog zur für viele Internetnutzer alltäglichen Checkbox-Bestätigung, AGB gelesen und verstanden zu haben).
Der Sydney Morning Herald (beziehungsweise Bloomberg, von wo der Artikel syndiziert wurde) zitiert einen Analysten, die Buchindustrie müsse nun schnellstens für ein attraktives legales Angebot sorgen, um den bereits entstandenen vor Inhalten überquellenden und rege genutzten Schwarzmarkt mit illegal weitergegebenen Scans einzudämmen – die Verbreitung auf diesem Weg sei "ein Zeichen für eine latente Nachfrage".
Dem ist wenig hinzuzufügen – allenfalls ein Verweis auf die offensichtlichen Parallelen zwischen japanischer und deutscher Buchbranche im Zeichen der Digitalisierung. Piraterierte eBooks erfreuen sich auch hierzulande im Fahrwasser der Verkaufserfolge von iPad, Kindle 3 & Co. wachsender Beliebtheit – allerdings handelt es bei den Dateien nicht um zumindest für kleinformatige Displays problematische pdf-Scans, sondern immer mehr um exzellent aufbereitete epub-Files (häufig von hartem DRM "befreite" Kaufdateien).
<via Mediabistro>
Kommentare
Thomas Knip 8. Februar 2011 um 00:24
Lustigerweise wäre das in Deutschland prinzipiell sogar erlaubt, § 53, UrhG:
"Der zur Vervielfältigung Befugte darf die Vervielfältigungsstücke auch durch einen anderen herstellen lassen, sofern dies unentgeltlich geschieht oder es sich um Vervielfältigungen auf Papier oder einem ähnlichen Träger mittels beliebiger photomechanischer Verfahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung handelt."
Die Betonung liegt natürlich auf "unentgeltlich", andererseits darf sich der Dritte etwaige Unkosten erstatten lassen.
Und wie dann was als was von wem wie verrechnet wird, bleibt der Phantasie der kreativen Kalkulation überlassen. Dann wäre das Scannen halt kostenlos, aber der DVD-Rohling zum Brennen kostet 25.- Euro. ;)
Timo 8. Februar 2011 um 06:49
Wow, unter einem Euro pro Buch, da wäre ich auch Kunde. Aber selber jeweils hunderte vom Seiten dafür auch nur umblättern, nee danke.
Chräcker 8. Februar 2011 um 08:10
Eines Tages wache ich auf und stelle erstaunt fest, das die Verlage gelernt haben: ich kann nur eBooks auch kaufen, wenn ich eBooks kaufen kann.
Vielleicht bringt diese Entwicklung in Japan die Verlage langsam dazu. Langsam, wir wollen ja niemanden der Branche verschrecken mit Alpträumen von Umsatz und Gewinn durch das verkaufen eines immer mehr nachgefragten Produktes.
Timo 8. Februar 2011 um 08:53
Mich würde ja mal interessieren woran es bei den Verlagen scheitert, ihre alten Bestände als Ebook herauszubringen. Sind das Rechte-Probleme? Nennenswerter Aufwand kann das doch eigentlich nicht sein, die Bücher liegen sicherlich eh alle schon in elektronischer Form vor.
rr 8. Februar 2011 um 09:04
@Timo: Das wird von den Verlagen so erklärt, dass die alten Verträgen, die zu einer Zeit abgeschlossen wurden, wo an elektronische Lesegeräte nicht zu denken war, keine Rechte für elektronische Publikationen enthalten. Für mich klingt das aber auch mehr nach einer Ausrede. Will sagen, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Der Wille scheint mir aber bei vielen deutschen Verlagen weitestgehend zu fehlen.
K-P 8. Februar 2011 um 09:22
@RR/Timo
Das mit den fehlenden Rechten bei Altverträgen ist keine Ausrede sondern Fakt. Wenn ein Verlag Bücher elektronisch publizieren möchte, bei denen ein alter Vertrag vorliegt, dann muss er erst einmal die Rechte beim Autor (oder dessen Erben) neu einholen und zwar für jeden Vertrag einzeln. Sind dann auch noch Bilder in dem Buch, müssen dafür von den Fotografen oder Illustratoren nochmals extra die Rechte eingeholt werden. Und das setzt voraus, dass man weiss, wo man diese kontaktieren kann, was nicht zwingend der Fall ist, da Fotos in der Regel pauschal bei Erscheinen honoriert werden und somit nicht zwingend zwischen Verlag und Fotograf über die Jahre Kontakt gehalten wird. Sprich, am Willen fehlt es in der Regel nicht, nur ist der Aufwand gerade bei den älteren Titeln derart hoch, dass es sich bei 99% der Bücher eigentlich gar nicht lohnt, diese als E-Books herauszubringen.
Nico Weingart 8. Februar 2011 um 10:09
Könnte mir gut vorstellen, dass das eine Entwicklung nimmt wie bei Musik-CDs. Immerhin darf man diese nach dem Erwerb für den privaten Gebrauch sichern/ kopieren.
Das Geschäft in Japan läuft mit Büchern, die schon gekauft wurden, d.h. man hat das Nutzungsrecht schon erworben.
Sollte kein allzu großer Schritt sein, das gekaufte Werk für die digitale Nutzung "sichern" zu dürfen…
Nico Weingart 8. Februar 2011 um 10:12
…ach ja, der Preis ist wirklich günstig! Zahle meinen Söhnen aktuell 1Cent/Seite fürs Einscannen. Muss wohl mit neuen Argumenten die Verhandlungen neu führen ;-)
Timo 8. Februar 2011 um 10:22
@Nico: Falls deine Söhne noch nicht ausgelastet sind, ich hätte da auch noch Aufträge zu vergeben :-)
@rr + k-p: Danke für die Antworten. Leuchtet mir ein.
Rudi 8. Februar 2011 um 10:56
@Thomas Knip
Ich denke mal das hüpfende Komme ist 'auf Papier oder einem ähnlichen Träger'. Digitalisieren ist nun mal kein papierähnlicher Träger. Ob das dann umsonst ist oder Kosten verursacht ist damit ganz egal.
Es gibt keine Unkosten sondern nur Kosten
Timo 8. Februar 2011 um 10:57
Hmm, habe das gerade interessehalber mal ausprobiert: Wenn man bereit ist sein Buch zu opfern, sprich die Seiten zu zerpflücken damit die durch den Duplex-Scanner mit automatischem Einzug gehen, dann geht das Einscannen und in ein eReader-taugliches Format zu konvertieren einfacher und schneller als ich dachte, nur wenige Minuten für ein 120 Seiten Buch inkl. OCR, ohne viel manuelles Eingreifen. Aber es tut mir irgendwie in der Seele weh dass dass Buch dabei zerstört wird, ich weiß noch nicht ob ich mich dazu generell überwinden kann :-)
Rudi 8. Februar 2011 um 10:58
Sorry bei dem letzten Satz sollten Klugscheiss-Tags dran sein, die hat das System aber einfach entfernt.
Chräcker 8. Februar 2011 um 10:59
Hallo KP. Das leuchtet mir auch ein, zumal dann der eBookmarkt in diesem Bereich jenseits der Bergeweise ThrillerFantasyPHPfibeln-Bereich auch eher wieder dünn sein dürfte.
Verständis-Aber dann doch von mir: müsste das in der Musibranche nicht ähnlich gewesen sein?
(Und: ich wäre schon zufrieden, wenn alle Neuerscheinungen auch als eBoook raus kämen. Da sind wir aber auch noch weit von entfernt. Da habe ich dann, und ich recherchiere erst wirklich immer, keine Skrupel, das eBook dann… äh, nicht zu kaufen, wenn es dann nicht als solches zu kaufen gibt…)
mh 8. Februar 2011 um 11:19
@Thomas Knip: Das stimmt, man darf andere beautragen, eine Privatkopie für einen zu erstellen. Man darf aber nur seit 2 Jahren vergriffene Bücher vollständig einscannen.
§53 UrhG Abs. 4: "Die Vervielfältigung (b) eines Buches oder einer Zeitschrift, wenn es sich um eine im wesentlichen vollständige Vervielfältigung handelt, ist, soweit sie nicht durch Abschreiben vorgenommen wird, stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig oder unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 oder zum eigenen Gebrauch, wenn es sich um ein seit mindestens zwei Jahren vergriffenes Werk handelt."
Die Ausnahme Absatze 2 Satz 1 Nr. 2 (Aufnahme in ein eigenes Archiv) greift nicht, das ist viel zu sehr eingeschränkt (Archiv, Vervielfältigung ist "geboten", eigene Vorlage, Kopie auf Papier oder einem ähnlichen Träger, ausschließlich analoge Nutzung, im öffentlichen Interesse).
Timo 8. Februar 2011 um 11:50
Das wird ja immer interessanter, ich darf noch nicht mal beliebig eigene Bücher für den eigenen Gebrauch einscannen?? Wow.
Thomas Knip 8. Februar 2011 um 12:41
Was der Artikel halt deutlich macht, und das gilt sowohl für Japan wie für Deutschland:
Die Verlage sind in der "Bringschuld", ein ansprechendes und umfangreiches Angebot vorzulegen – wenigstens bei den Neuerscheinungen.
Viele Verlage warten noch, bis der Markt endlich groß genug sei und wollen nicht verstehen, dass sie es selbst in der Hand haben, dass dieser Markt größer wird.
Tim 9. Februar 2011 um 12:02
Fakt ist, dass (und das ist selbst bei den Großen so) die meisten Bücher in der Backlist NICHT in elektronischer Form vorliegen, sondern als Microfilm – und zwar locker bis 2004 oder später. Und das zu digitalisieren ist wohl nochmal aufwändiger – und scheinbar gibt es dafür auch keinen kosteneffizienten Prozess.
Das mit den Rechten kommt dann noch oben drauf.
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