Enriched E-Books – Nicht Fisch, nicht Fleisch
[Ein Kommentar von Steffen Meier] Vor zwei Wochen wurde im Rahmen einer AKEP-Veranstaltung noch eher ratlos unter vielen Verlagskollegen das Thema "Enriched E-Books" durchdiskutiert und -dekliniert – jetzt erscheint mit einigem Presserummel Folletts Sturz der Titanen als solches (Screenshots in diesem Artikel). Videos, Kartenmaterial, Links zu Wikipedia inklusive – da muss man den Kollegen von Bastei Lübbe schon sagen: "Chapeau!".
buchreport hat das Thema sehr schön journalistisch aufbereitet, aber auch dem Artikel ist eine gewisse Skepsis anzumerken – die sich im übrigen durch die ganze Verlagsbranche zieht. Irgendwo zwischen E-Book (bei dem man sich ja weitgehend darauf geeinigt hat, dass ein E-Book ein weitgehend identisches Digitalisat eines Print-Produkts ist – wenn es nicht gleich digital erstellt wurde) und Applikationen angesiedelt, weiß momentan noch niemand so recht, wohin eigentlich mit diesen Enriched (oder Enhanced) E-Books.
An ähnlichen Modellen wird ja nicht erst seit gestern herumlaboriert, man denke nur an die Kombination von E-Book und Hörbuch, was bei der Lektüre/hören eine verwirrende Erfahrung sein kann. Digitale Bücher mit Verweisen ins benachbarte Webs oder Videos anzureichern, ist nur der nächste logische Schritt. Aber ist bei einem solchen Produkt wirklich alles sinnvoll, was Technik kann?
Zu einem sehr großen Teil ist Belletristik in der Rezeption linear – auf gut Deutsch: ich fange vorne an zu lesen und höre bei interessantem Inhalt am Ende auf. "Ich habe das Buch an einem Stück verschlungen" ist wohl eines der größten Komplimente, die man einem Autor machen kann. Diese Inhalte mit, unfreundlich ausgedrückt, "ablenkendem" Material anzureichern, erscheint da fragwürdig. Das mag als künstlerische Form durchaus mal legitim und gewollt sein, aber wohl schon Homer hätte keine Begeisterung gezeigt, wenn man, statt seinen epischen Versen zu lauschen in ein antikes Google Maps gesprungen wäre, um sich die vermeintlichen Fundorte Trojas anzuzeigen.
Bei Fachbüchern gestaltet sich das anders – die Inhalte sind eher fragmentierbar, portionsweise konsumierbar. Hier ist man im Wechsel zwischen eigentlichem Text und Zusatz in Marginalspalten Lesesprünge sowieso gewohnt. Der belletristische Lesefluß ist hier also nicht gegeben (Leser, die in Titeln wie "Immunpharmakologie" schmökern, sind dann doch eher die Ausnahme). Zudem gibt es oft Abläufe in Tabellen oder Grafiken, die visuell in Form eines Slides oder Videos deutlich besser darstellbar sind.
Letztendlich ist es auch die Frage, ob Verlage solche Produkte in ihre Herstellungsprozesse integrieren können. Bei Belletristik-Verlagen läßt sich jetzt schon klar absehen, daß eben nicht. Bei Fachverlagen sieht die Situation etwas anders aus, da oft Material von Autoren leicht multimedialisierbar ist (Slides, Videos als Vorlagen), mitunter auch schon vorliegt, da dieses zum Beispiel schon in Vorträgen oder Vorlesungen so eingesetzt wird. Aber selbst letztere verfügen oft nicht über ein vernünftiges Media Asset Management System (auf gut deutsch: ein Datenverwaltungssystem), das eine flüssige Produktion erlaubt.
Der Aufwand steht dabei schlicht in keiner Relation zum Ertrag, was Enriched E-Books zu singulären Produkten verurteilt. Dies bedeutet nicht, daß hierfür kein Markt vorhanden ist – das entscheiden am Ende sowieso die Käufer. Und das bedeutet auch nicht, daß in der Branche jetzt schon wieder in großes Wehklagen ausbrechen muß ob eines zu verschlafenden Trends, eines Marktes, an dem man nicht partizipieren kann. Das bedeutet nur, sich die eigenen digitalen Bücher mal genauer anzuschauen, ob multimediale Elemente sinnvoll sind oder nicht. Falls ja, kann man ja die Kollegen von Bastei Lübbe fragen, wie das dann geht.
Kommentare
Stefan Böhringer 29. September 2010 um 08:47
Ich stimme Herrn Meier vollkommen zu, dass enriched E-Books in Belletristik eigentlich nichts zu suchen hat. Lineares Lesen sollte vom Typografen unterstützt werden und nicht durch zu viel Schnickschnack und Spielereien behindert werden. Der Vorteil liegt natürlich bei Titeln, die für ein selektierendes und informierendes Lesen gedacht sind: Fach-, und Sachbücher, Schulbücher etc.
Wahrscheinlich lohnt der Aufwand aber noch nicht, denn die einzigen Endgeräte, die wirklich enriched E-Books wiedergeben können sind iBooks und ADE (?). Die Vorraussetzungen müssen also erstmal auf vielen Lesegeräten gegeben sein, um möglichst viele Kunden anzusprechen und damit wirklich interessant und rentabel für die Verlage zu sein.
Michael Müller 29. September 2010 um 09:32
Die Argumentation leuchtet ein, wenn man im E-Book primär das Digitalisat eines Print-Produkts sieht. Werden aber die multimedialen und interaktiven Erweiterungen bei der Konzeption des Produktes berücksichtigt bzw. speziell Produkte für dieses Format produziert, könnte sich schon ein echter Mehrwert ergeben, für den die Kunden auch bereit sind, zu zahlen.
Außerdem sind etliche Publikationen, z.B. Reiseführer, in der gedruckten Form keine optimalen Lösungen, sondern eher Kompromisse, an die man sich eben gewöhnt hat. Ein Reiseführer, der Elemente eines Audioguides beinhaltet, in Zunkunft vielleicht sogar auf die Position des Nutzers reagiert, wäre ein echter Fortschritt.
Bei der mobilen Nutzung unterstützen die beiden führenden Plattformen, iBooks (bisher nur in der US-Version) und textunes Enriched E-Books.
Sven Trautwein 29. September 2010 um 10:13
Ich stimme Herrn Meier und meinen Vorkommentatoren zu. Gewisse Genres, vor allem Reiseführer und Sachbücher – beispielsweise zum Thema Fremdsprachenerwerb – dürften einen neuen Nutzerkreis durch enhanced e-books erreichen. Bei Belletristik sind Zusatzmaterialien sicherlich auch sinnvoll, gerade um historische Fakten nachzuschlagen – aber ich würde mich da (derzeit) noch zu sehr ablenken lassen.
Steffen Meier 29. September 2010 um 10:39
@Michael Müller Reiseführer sind durchaus ein interessantes Gebiet – aber es hat schon seinen Grund, warum große Reisebuchverlage inzwischen eher in Richtung Navi-Geräte mit POI-Informationen nachdenken. Hier sind die Grenzen schwimmend, werden vermutlich eher in Richtung Applikation/Software gehen – und damit für mich keine E-Books mehr.
angela temming 29. September 2010 um 10:39
Es ist wie beim Vorlesen. Ständige Unterbrechungen nerven (Wer ist das? Was macht der?), bereichern aber das Gelesene.
Also machen wir es hintereinander, erst wird gelesen, dann reden wir darüber. Genau so würde ich das bei einem solchen E-Book auch tun, es zwingt mich doch keiner, alles zwischendrin abzuarbeiten. Ich lese das Buch, und wenn es mich interessiert, schaue ich die Materialien dazu an. Eigentlich so, wie ich es jetzt auch schon machen kann: Lesen und danach surfen, nur dass die Infos bereits recherchiert sind. Keine schlechte Sache.
Ich sehe allerdings keinen bedeutsamen Unterschied zu den vielen Multimedia-DVDs, die es bereits gibt und die mich keine Spur faszinieren, „Online-Weinführer“ etwa. Mir ist das viel zu kompliziert, erst CD einlegen etc. Auch beim Reisen habe ich nicht unbedingt einen Rechner dabei. Vielleicht bin ich Oldschool ;-)
Sinnvolle Anwendungen wären für mich solche, die von der zusätzlichen Quelle Audio tatsächlich profitieren, zum Beispiel ein Vogellexikon, bei dem ich mir die Gesänge der Vögel anhören kann.
Thomas E. 29. September 2010 um 13:10
Was hat das noch mit Ebook-Reader zu tun?
So interessant es sich eigentlich anhört (ich kann mich sehr für Technik begeistern), um so weniger möchte ich das dieses Konzept umgesetzt würde.
Lesen soll entspannen. Darum nimmt man ein Buch – oder neuzeitlich einen Ebook-Reader – zur Hand. Man möchte jederzeit und überall seine Bücher mitnehmen können und einfach nur lesen können.
Mein Wunsch beim Lesen ist es ja gerade, von dieser überbordenden Informationsflut und Erreichbarkeit entfliehen zu können.
Auch wenn ich Verständnis für die Fachleute habe, aber Fachliteratur auf einem 5 oder 6 Zoll Monitor zu bearbeiten, wird auf Dauer nicht wirklich Spass machen.
Ein grösseres Display wird ein Gerät auch schwerer und damit unhandlicher machen.
Ausserdem wird ein solches Gerät wohl oder übel nach einigen Stunden Betrieb wieder an die Steckdose müssen.
Wenn man sich dann über einen möglichen Preis Gedanken macht, wird man weit über den Preis eines Netbooks kommen und feststellen, dass ein solches da wesentlich mehr hinsichtlich Multimedia und Bedienbarkeit zu bieten hat.
Da sowieso jeder einen PC Daheim oder im Büro hat, denke ich, dass sich der Aufwand nicht lohnt, der hier für ein paar wenige mobile Nutzungen aufgebracht wird.
Die Verlage sollen mal lieber dafür sorgen, dass die herkömmlichen Ebooks aktraktiver hinsichtlich Preis werden. Lieber mal das jetzige Interesse der Normalleser decken, als sich um solche Exoten zu kümmern.
Ich bin der Meinung, ein Ebook-Reader ist eine eigene Klasse.
Wer Multimedia will, soll zum iPad & Co greifen.
Marc O. Szodruch 29. September 2010 um 13:48
Mit Enriched E-Books lassen sich ganz andere Erzähltechniken realisieren. Hier ist expiremtieren angesagt. Ich freue mich über mehr von diesen Büchern, auch wenn manche es dann nicht mehr Buch nennen möchten. Es kann doch nicht sein, dass ein E-Book dasselbe ist wie ein P-Book, nur ohne Papier.
Sascha 29. September 2010 um 16:08
"Der Aufwand steht dabei schlicht in keiner Relation zum Aufwand…"
Häh?
Steffen Meier 29. September 2010 um 16:14
@Marc Ich freue mich auch über jedes inhaltlich-technische Experiment, auch für die Kollegen von Bastei Lübbe. Aber genau das ist es: ein Experiment, nichts, dass speziell Belletristik-Verlage sinnvoll in ihre Abläufe integrieren können. Und erst dann rechnet sich mE das Ganze.
@Sascha Man sollte kurz vor Mitternacht übermüdet keine Blogbeiträge schreiben ;-) Soll natürlich heißen "Aufwand steht dabei schlicht in keiner Realtion zum Ertrag".
Ulli 29. September 2010 um 18:43
Schade, der ADE ist nicht multimediafähig – so kann der Titel in den meisten Shops wohl nicht angeboten werden. Es sei denn, der Verlag will auf den Kopierschutz verzichten…?
Thomas Knip 29. September 2010 um 19:20
Es stellt sich die Frage, wie viele Geräte es in den nächsten fünf Jahre geben wird, die überhaupt in der Lage sind, enriched eBooks anzuspielen. Alleine dadurch bedingt sich schon der Markt. Das ist bis auf Weiteres eine Nische in einem Nischenmarkt.
Für Belletristik kann ich es mir gut vorstellen, wenn man es NICHT so macht wie Bastei.
Zusätzliche Inhalte sollte über ein extra Menü abrufbar sein, das jeden, der "nur lesen" will, nicht belästigt.
Bei einem Fantasy-Titel wären eine schöne, animierte bunte Landkarte und Beschreibungen der Völker samt Illustrationen und untermalt durch typische Klänge schon hübsch – aber ich möchte als Leser selbst entscheiden, wann ich mir die ansehe.
Dann reißt es mich auch nicht aus meinem Lesefluss.
Michael Müller 30. September 2010 um 07:57
@Thomas E., @Thomas Knip ich halte es noch nicht für ausgemacht, dass genuine E-Book-Reader mehr sind als eine "Brückentechnologie". Und in der Entscheidung zwischen Readern und Tablets/Smartphones könnten die multimedialen Inhalte ein wichtiger Faktor sein, denn da sind Mehrzweckgeräte klar im Vorteil.
Gucky 30. September 2010 um 12:41
Prinzipiell finde ich es nicht verkehrt diesen Weg zu gehen. Das ist in meinen Augen ja auch irgendwo konsequent. Die neuen Reader kommen oft mit i-net, koennen Audio wiedergeben usw. Natuerlich muss man auch sehen das das Bsp. z.B auf einem IPAD dargestellt wird also keinen reinrassigen Lesegeraet. Hier wird es wohl noch Kampf geben was die Konsumenten am Ende mehr wollen. Eine Multimediamaschine mir der man auch lesen kann oder einen Buchersatz der ziemlich spartanisch herkommt. Die Lage wird spannender wenn es die ersten farbigen Displays gibt. Warum sollte man nicht bei einem Buch wie z.B. Herr der Ringe die Landkarten usw. als farbiges elektronisches Pedant mitliefern. Warum nicht bei Quellenangaben und dergleichen auf medial aufbereitetes Material verlinken. Vielleich auch auf Bezahlinhalte usw. Ideen gibts da viele.
Wird es ein Buch 2.0 geben? 30. September 2010 um 13:26
[…] Habe erst eben den Beitrag Enriched E-Books – Nicht Fisch, nicht Fleisch auf Lesen.net von @SteffenMeier […]
Steffen Meier 30. September 2010 um 16:50
Beispiel für ein enriched E-Book, das fast schon filmisch aufbereitet ist: Bram Stokers Dracula:
http://padlive.de/2010/09/wird-es-ein-buch-2-0-geben/
Extrem cool – aber sicher kein "Buch" mehr
“Sturz der Titanen” App: Enhanced 1.0 » Debatte » lesen.net 5. Oktober 2010 um 12:31
[…] den Kassen) ein: Vom „Buch der Zukunft“ war da die Rede. Also her mit dem 1444 Seiten starken gerade erschienen Enhanced eBook “Sturz der Titanen” (23 Euro; iTunes-Link) und sehen, was das […]
Sascha Lobo als Kummerkasten | Blog der Frankfurter Buchmesse 13. Oktober 2010 um 14:07
[…] in digitaler Form für uns Leser haben? Über diese Frage grübeln momentan viele Verlage. Denn “Enriched E-Books” müssen nicht zwangsläufig Video-Filmchen oder Grafiken enthalten. Für die iPhone-App seines […]
JScheu 31. Oktober 2010 um 14:58
@Thomas E: Ich bin ganz Deiner Meinung, da ich ein Buch zur Entspannung von meinem Arbeitsalltag lese…
Das mag vielleicht etwas altmodisch klingen, aber ein Buch sollte ein Buch bleiben, egal ob ich es auf einem E-Book-Reader oder als Druckausgabe lese.
Mit Fachbüchern lerne ich übrigens auch besser als mit multimedialen PPT-Feuerwerken.
Fünf eReading-Megatrends in 2011 » Debatte, eBooks, eReader » lesen.net 29. Dezember 2010 um 16:39
[…] behaftet, denen momentan noch keine nennenswerten Einnahmen gegenüberstehen (vgl. ausführlich im Gastartikel von Steffen Meier). Im Hause Rowohlt heißt es dazu, man wollte technisch vorne dabei sein und seinen Autoren etwas […]
Daniel Winkler 7. Januar 2011 um 21:33
Ein zu diesem Thema passendes Interview mit Ariane Hesse (O’Reilly Verlag)
auf Verlage der Zukunft
„Bücher müssen nicht länger statisch und abgeschlossen sein“
http://www.verlagederzukunft.de/2011/01/07/interview-ariane-hesse/