Skip to main content

Offener Brief: Auch deutsche Autoren rebellieren gegen Amazon

Der endlose Streit zwischen Bonnier/Hachette und Amazon geht in die nächste Runde. Nun wollen sich am Sonntag auch deutsche Autoren mit einem Protestbrief zu Wort melden. Der Vorwurf: Amazon verzögere bewusst die Auslieferung einzelner Titel und "manipuliere Empfehlungslisten". Doch in Amazon nur den bösen Monopolisten zu sehen, stellt die Situation verkürzt dar.

Die Unterzeichner des Briefes, zu denen auch Elfriede Jelinek, Günter Wallraff und John von Düffel gehören, werfen dem Unternehmen vor, auf dem Rücken der Autoren seine Machtposition festigen zu wollen. “Die Autoren werden von Amazon in Geiselhaft genommen", gab Regula Venske, Generalsekretärin des PEN Zentrums Deutschland, beim Handelsblatt zu Protokoll.  Damit schließen sich die deutschen Autoren ihren US-amerikanischen Kollegen an. Erst am vergangen Sonntag hatten diese in der New York Times in einem offenen Brief  ähnliche Vorwürfe gegenüber Amazon geäußert. Der offene Brief der deutschen Autoren soll am Sonntag auf der Website www.autoren-für-fairen-buchmarkt.de veröffentlicht werden. Amazon teilte mit, dann auch auf die Vorwürfe antworten zu wollen. 

Alter Vorwurf im neuen Gewand

Zu dem Vorwurf, es verzögere bewusst die Lieferung einzelner Titel hatte sich das Unternehmen in dem andauernden Streit allerdings früher schon geäußert. Ende Juni hatte der Börsenverein des deutschen Buchhandels eine formale Beschwerde beim Bundeskartellamt gegen Amazon eingereicht. Grund: "Amazon missbraucht seine Marktmacht auf dem deutschen Nachfragemarkt für E-Books".  Auch damals ging es um die angeblich verzögerte Auslieferung einiger Titel aus dem Haus Bonnier. Amazons Antwort: "Diese Behauptung ist nicht wahr. Für einige Printtitel des Verlagshauses Bonnier kaufen wir derzeit weniger Lagerbestand ein als wir dies normalerweise tun würden. Bestellungen von Titeln, die wir auf Lager haben, verschicken wir sofort.”

Autoren als Druckmittel

Hintergrund der Debatte ist Amazons Forderung nach höheren Rabatten beim Einkauf von E-Books. Statt der bisherigen 30 Prozent forderte das Unternehmen 40 bis 50 Prozent. E-Books könnten dann günstiger werden, Kunden würden mehr kaufen und unter dem Strich bekäme jeder mehr heraus – Autoren, Verlage und Amazon, rechnete das Unternehmen in einem offenen Brief vor. Um das zu erzwingen, nähme Amazon Autoren und ihre Bücher als "Druckmittel" her, heißt es laut MEEDIA in dem Brief der Autoren.

Verteilungskämpfe im Buchmarkt

Amazon inszeniert sich in der derzeit ausgefochtenen PR-Schlacht als Anwalt der Leser – Hachette/Bonnier als Vorkämpfer gegen einen bösen Monopolisten, der die Buchkultur bedroht. Beide Seiten lassen ihre Muskeln spielen und versuchen, mit Petitionen und offenen Briefen Autoren und Leser auf ihre Seite zu ziehen. Tatsächlich dürfte der seit Wochen andauernde Tanz allerdings mehr damit zu tun haben, wessen Position auf dem immer größer werdenden Markt für E-Books zukünftig besser ist um möglichst große Gewinne einzufahren.

"Manipulierte Empfehlungslisten"? Ernsthaft?

Diese Art der Verhandlungsführung ist weder für die Verlage noch für Amazon etwas neues. Wessen Buch vorne auf dem Empfehlungsstapel im Buchhandel liegt oder auf der Startseite eines beliebigen Onlineshops angezeigt wird, entscheidet ja nicht der Zufall oder irgendwelche objektiven und hochkulturellen Entscheidungsträger, sondern der Geldbeutel des Verlages oder zumindest das Umsatzpotenzial eines Buches. Dass die deutschen Autoren in ihrem offenen Brief Amazon wegen "manipulierter Empfehlungslisten" anklagen, mutet darum ziemlich weltfremd an.

Schon im Mai schrieb der Verleger Mathias Ulmer, dass das "aggressive Vorgehen" nichts Neues oder Ungewöhnliches sei, sondern seit Jahren im Buchhandel üblich.  Auch Amazon hatte 2010 bei  Tausenden E-Books von Macmillan (Holtzbrinck) kurzzeitig den “Kaufen”-Button entfernt, zwei Jahre später waren während Konditionenverhandlungen E-Books der "Independent Publishers" nicht mehr verfügbar. Auch Time Warner und Disney bleiben nicht verschont.  Somit ist auch der Vorwurf der "manipulierten Empfehlungslisten" möglicherweise nicht ganz aus der Luft gegriffen, ist allerdings als Vorwurf nur bedingt tauglich. 

Veränderte Wahrnehmung

Neu ist allerdings, dass solche Verhandlungen unter den Augen und mit der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Dass Amazon ausgerechnet jetzt für diese Praktiken derart ins mediale Kreuzfeuer gerät, dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass in den letzten Jahren immer mehr Vorwürfe gegen früher gefeierten Neuerer des Buchhandels laut geworden sind. Sei es nun, dass die ARD eine im Nachhinein stark kritisierte Dokumentation dreht, die zeigt, dass das Unternehmen seine Mitarbeiter zu menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten lässt, sei des die Beschwerde des Börsenvereins beim Kartellamt, die auch als Aktion eines Lobbyvereins des deutschen Buchhandels gesehen werden muss. Denn auch wenn man Amazons Verhandlungspolitik nicht vorbehaltlos gut heißen mag – kritikwürdig ist in dieser in die Öffentlichkeit getragenen Preisverhandlung nicht nur der Onlinehändler.

<Bildnachweis: Protestierende Autoren von Shutterstock>

 

Ähnliche Beiträge


Kommentare


Amazon.de hat Ärger mit verkauften Rezensionen » lesen.net 14. August 2014 um 18:57

[…] Aufschrei in der Buchbranche ob dieser Praktiken des aktuellen Erzfeindes blieb bislang aus – vielleicht auch, weil ähnliche Praktiken absoluter Usus im […]

Antworten

Debatte der offenen Briefe: Selfpublisher kritisieren Buchhandel » lesen.net 18. August 2014 um 12:01

[…] Brief wurde am Samstag auch als Reaktion auf den offenen Brief deutscher Autoren publiziert, in dem Amazon vorgeworfen wurde, Bücher der Bonnier-Verlagsgruppe zu boykottieren und […]

Antworten

Amazon – das Ende der Buchkultur? Offene Briefe, Autoren contra & pro Amazon, Linksammlung zur Debatte | Boschers Blog 25. August 2014 um 00:13

[…] Lesen.net: Offener Brief: Auch deutsche Autoren rebellieren gegen Amazon (Quelle: https://www.lesen.net/ebook-news/offener-brief-auch-deutsche-autoren-rebellieren-gegen-amazon…) […]

Antworten

Breaking: Random House sagt Adobe DRM adè » lesen.net 1. September 2014 um 13:43

[…] Abschied von Adobe DRM das schlauste, was Verlage tun könnten, und tausendfach effektiver als jeder offene Brief. Denn damit würde konkurrierenden Plattformen und eBook Stores ein echter […]

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*