Tablet-Magazine auf iPad & Co: "Sinkendes Schiff" oder Überholspur?
Innerhalb weniger Tage veröffentlichten Adobe und GigaOM komplett gegensätzliche Meldungen über Erfolg oder Misserfolg digitaler Magazine. Wir haben das als Anlass genommen, uns den Markt für elektronische Zeitungen und Zeitschriften einmal genauer anzusehen, um den Widerspruch aufzulösen.
Das iPad wurde bei seiner Einführung als ideale Plattform für elektronische Magazine gepriesen. Springer-Chef Döpfner legte Verlagsbossen gar nahe, Steve Jobs auf den Knien für diese neue Verkaufsplattform zu danken.
Tatsächlich ist Apples digitaler Zeitungskiosk inzwischen gut gefüllt – bei einer groben Zählung im deutschen iTunes Store kamen wir auf knapp 2.000 Publikationen. Insofern überrascht eine Erfolgsmeldung von Adobe nicht: Mehr als 150 Millionen Nutzer würden inzwischen digitale Zeitschriften lesen, die mit Adobes Publishing-Plattform auf Tablets oder Smartphones gebracht wurden. Alleine in den letzten 12 Monaten sei der Zuwachs an Lesern dreimal so groß gewesen wie im Jahr davor.
Doch nur wenige Tage später vermeldet das einflussreiche Technik-Blog GigaOM plötzlich das Gegenteil: Tablet-Magazine seien "ein schnell sinkendes Schiff". Es reiche nicht aus, reine Design Tools wie die von Adobe zu benutzen, um die Inhalte auf iPad un Co zu bringen. Statt dessen brauche man individuell programmierte Apps. Diese könnten die Interaktivität von Tablets voll ausreizen und müssten ihr Dasein auch nicht versteckt im Zeitungskiosk-Ordner fristen.
Angesichts dieser komplett unterschiedlichen Interpretationen der Lage stellt sich die Frage, wie es wirklich um den Markt bestellt ist.
Interessegeleitete Meldungen…
Wenn wir uns die eingangs erwähnten Meldungen von Adobe und GigaOM näher ansehen, fällt auf, dass beide nicht unabhängig sind. Bei Adobe ist das offensichtlich – sie wollen Werbung für ihre Publishing-Plattform machen. Der Kommentator bei GigaOM hingegen ist Eddie Vassallo, Chef vom App-Entwickler Entropy. Er macht letztlich Werbung für sein Produkt.
Für eine weniger voreingenommene Sicht schauen wir einmal auf die absoluten Nutzerzahlen. Dabei beziehen wir uns auf den US-Markt, denn in Deutschland sind die entsprechenden Daten der IVW noch zu lückenhaft, um daraus Schlüsse zu ziehen – vor allem die Unterscheidung zwischen bezahlten und nicht bezahlten Inhalten ist leider noch unzuverlässig.
…und zurechtgebogene Statistiken
Für die USA gibt es bessere Daten vom US-Gegenstück zu IVW. Und diese Zahlen zeigen: Adobe und GigaOM haben beide Recht, je nachdem wie man die Statistik interpretieren möchte. Die Nutzung digitaler Ausgaben von Zeitschriften hat zwischen Juni 2012 und Juni 2013 zwar deutlich zugenommen, genau wie Adobe es sagt. Sie ist aber noch immer vergleichsweise gering. Bei den meisten Zeitschriften machen Digital-Käufer weniger als 10 Prozent der Leser aus. Das mag für manche Zeitschrift ein nettes Zubrot sein, aber die Rettung der Branche sieht wohl anders aus.
Darauf wiederum baut App-Hersteller und GigaOM-Kolumnist Eddie Vassallo sein Argument auf. Man brauche aufwändige Apps. Keine schnöde Wiedergabe der Print-Inhalte, sondern ein speziell ans Tablet angepasstes Erlebnis. Außerdem sei es wichtig, dass eine vollwertige App nicht im Zeitungskiosk-Ordner auf dem iPad "versteckt" sei, sondern an beliebiger Stelle installiert werden könne. Sollten die Anbieter seinem Ratschlag folgen?
Zumindest die App-Store-Ranglisten belegen Vassallos Argument nicht: Unter den 200 umsatzstärksten Apps im US-Store finden sich derzeit ein gutes Dutzend digitaler Zeitungen und Zeitschriften. Alle sind an Apples Zeitungskiosk gebunden. Die erfolgreichste App – diejenige der New York Times – schafft es immerhin auf Platz 11 in der App-Store-Umsatz-Hitliste. Dabei bietet sie ein vergleichsweise spartanisches Erlebnis: Keine Videos, keine aufwändigen Animationen, nur Fotos und Texte aus der New York Times. Also genau die Art von App, die Vasallo für untauglich hält.
In Deutschland ist das gibt es einige "echte" Zeitungs- und Zeitschriften Apps unter den Top 200 umsatzstärksten. Aber auch hier liegt die iPad-Ausgabe der "Welt" (im Zeitungskiosk) mit Platz 12 knapp vor den "regulären" Apps von "Bild" (Platz 15) und "Zeit" (Platz 19). Ein so großer Wettbewerbsnachteil kann das "Verstecken" im Kiosk-Ordner also nicht sein.
Liegt die Zukunft anderswo?
Sicher sind Zeitungen sind nicht ganz dasselbe wie Zeitschriften, dennoch lohnt sich zum Abschluss ein Blick auf die Leserzahlen der New York Times. Denn die erfolgreichste App in Apples Zeitungskiosk legt nahe,dass die digitale Zukunft vielleicht gar nicht in Apps liegt. Die zahlenden NYT-Leser für Digital und für Print teilen sich laut folgendermaßen auf:
- Print-Ausgabe: 62,5 Prozent
- Webseite mit Paywall: 27,6 Prozent
- E-Reader-Ausgabe: 2,8 Prozent
- Smartphone-App: 2,8 Prozent
- Tablet-App: 2,3 Prozent
- Online-Faksimile der Print-Ausgabe: 1,8 Prozent
(Fehlende Prozent zu 100 wegen Rundung, Nutzer des kostenlosen Web-Angebots wurden nicht berücksichtigt)
Bezahltes Web und Print kommen zusammen auf 90 Prozent. Ergibt es da überhaupt noch einen Sinn, die Inhalte teuer für andere Geräte aufzubereiten? Vielleicht sollte die Verlagsbranche statt dessen versuchen, akzeptable Web-Bezahlmodelle nach dem Vorbild der New York Times zu entwickeln und ihre Dankgebete lieber an WWW-Erfinder Tim Berners-Lee richten.
<Bildnachweis: Newspaper von Shutterstock>
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