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Tolino und DRM: Hängepartie auf Kosten der Leser

Groß war der Jubel unter Lesefreunden, als sich im Sommer 2015 alle drei großen Verlagskonzerne ankündigten, von hartem (Adobe-)Kopierschutz Abstand zu nehmen und statt dessen auf deutlich nutzerfreundlichere Wasserzeichen zu setzen. Auch vier Monate nach der offiziellen DRM-Abkehr der größten Verlagskette wird aber weiterhin zu einem Großteil hart verschlüsselt. Bei Kindle sowieso, aber auch im "offenen System" Tolino.

Werbeversprechen "Flexibilität"

"Die tolino Produkte verschaffen Ihnen größtmögliche Flexibilität beim Lesen, Verwalten und Kaufen Ihrer eBooks", versprechen die unter dem Tolino-Dach vereinten großen deutschen Buchhandelsketten und grenzen sich damit deutlich von Amazon ab. Tatsächlich waren allerdings in der Vergangenheit auch die allermeisten bei Thalia, Weltbild & Co. gekauften eBooks mit einem harten Kopierschutz versehen, der die Nutzbarkeit der Dateien extrem einschränkte und die Verwaltung alles andere als "größtmöglich flexibel" machte.

Dabei ist der bei epub-Dateien marktbeherrschende Adobe-Kopierschutz seit Jahren ein zahnloser Tiger, einziger Effekt ist eine Gängelung ehrlicher Käufer. Das drang inzwischen auch in das Bewusstsein selbst der drei den deutschen Publikumsmarkt beherrschenden Verlagskonzerne vor, die sich Mitte 2015 innerhalb weniger Monate von hartem Kopierschutz verabschiedeten. Den Anfang machte Bonnier (Piper, Ullstein, Carlsen, …), die sich am 01. Juli von Adobe DRM verabschiedeten. Zum 01. August folgte Holtzbrinck (Rowohlt, Knaur, KiWi, S. Fischer, …), zum 01. Oktober wollte schließlich der dritte (und größte) Konzernverlag, Bertelsmann/Random House (Heyne, Goldmann, Blanvalet, …), den Schalter umlegen.

Ankündigungen vs. Praxis

Schöne neue DRM-Welt? Keineswegs. Von den genannten Verlagskonzernen sind einzig die Titel der Bonnier-Verlage in den Tolino-Stores ohne hartes DRM zu haben. Hingegen gibt es Bestseller wie Ein ganz neues Leben (Rowohlt, sprich Holtzbrinck) und Royal Passion (Blanvalet, sprich Bertelsmann)  in den Online Stores der großen deutschen Buchhandelsketten nur verschlüsselt.

Über die Gründe dafür berichteten wir schon im vergangenen September. Die von Tolino Media eingesetzten Wasserzeichen, bei denen die Personalisierung gut sichtbar, relativ dezent und damit leicht entfernbar erfolgt, ist vielen Verlagsmenschen schlicht zu unsicher. Beim Online Store und Auslieferer Ciando hingegen, der im Vergleich zu Tolino allerdings bedeutungslos ist, sind zumindest die Holtzbrinck-Titel seit Monaten nur noch weich geschützt.

Man tauscht sich aus – seit Monaten

Wann ist es auch bei den Tolino-Händlern soweit? Die Pressestellen der verantwortlichen Unternehmen flüchten sich bei dieser Frage in Allgemeinplätze. "Wir sind in engem Austausch mit unseren Handelspartnern bezüglich der technischen Umsetzung und des Timings. Einige Händler haben bereits umgestellt, weitere werden folgen", erklärte uns vergangene Woche eine Random-House-Sprecherin. Und eine Tolino-Sprecherin fügte an, "wir begrüßen ausdrücklich, dass viele Verlage sich inzwischen vom harten DRM abwenden und auf den weicheren Kopierschutz setzen. Über die technische Umsetzung der Wünsche einiger Verlagspartner stehen wir in direktem Austausch mit diesen". Der E-Commerce-Chef des Regionalfilialisten und Tolino-Partner Osiander hat sich in der Sache ein wenig konkreter geäußert, konnte aber noch keinen Zeithorizont für eine Umstellung vermelden.

Während man sich seit Monaten "eng" und "direkt" austauscht, haben Digital-Leser einstweilen vielfach weiterhin nur die Wahl zwischen dem harten DRM von Amazon und dem harten DRM von Adobe. Die Hängepartie zwischen den Tolino-Allierten und den Großverlagen geschieht vor allem zum Leidwesen der technisch wenig affinen "Normal-Leser", die mit dem harten Kopierschutz zudem noch am ehesten ihre Probleme haben werden.

Königsweg: Kein oder zumindest unsichtbares DRM

Andere Nutzer können mit dem Status Quo hingegen sehr gut leben, vor allem beim Blick auf die von Ciando eingesetzten Wasserzeichen (mehrfache sichtbare Integration der Käuferdaten), die als sehr störend empfunden werden. Da weiß man, was man am mit zwei Klicks entfernbaren Adobe DRM hat. Wenn die Buchindustrie schon nicht ganz auf Kopierschutz verzichten kann (wie es durchaus auch größere Verlage wie Bastei Lübbe seit Jahren machen), sollten Personalisierungen zumindest unaufdringlich – am besten unsichtbar – sein und den Lesefluss nicht stören.

<Bildnachweis: Unendlichkeit von Shutterstock>

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Kommentare


Kritische Sicherheitslücke in Adobe Digital Editions < 4.5 » lesen.net 9. März 2016 um 13:09

[…] In vielen Fällen ist Adobe Digital Editions beim (legalen) Transfer kopiergeschützter eBooks aber nach wie vor unverzichtbar: Für den Bezug von eBooks aus Quellen außerhalb der Cloud, bei einem Wechsel der Plattform und und und. Vor allem, weil trotz medienwirksamer Abkehr nach wie vor das Gros der verkauften epub-Dateien mit hartem Kopie…. […]

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Lesezeichen 2016, Q1: Plagiate, Preisbindung, Tolino-DRM, Fake-Rezensionen » lesen.net 27. Dezember 2016 um 13:04

[…] Tolino und DRM: Hängepartie auf Kosten der Leser […]

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eBooks laden: Stiftung Warentest lobt Onleihe – und Aldi Life » lesen.net 3. Juli 2017 um 16:19

[…] ohne hartes DRM anzubieten als die Tolino-Händler (85 zu 70 Prozent). Über die Hintergründe berichteten wir schon vor einem guten Jahr: Großen Publikumsverlagen waren die Tolino-Wasserzeichen lange Zeit zu […]

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