Über 90% Piraterie: Drastische E-Book-Kampagne in Russland
Die hiesigen Verwerfungen des Buchmarktes sind nichts im Vergleich zu dem, was aktuell in Russland geschieht: Der Buchmarkt schrumpft Jahr für Jahr um fünf bis sieben Prozent, allein seit 2010 haben 20% der stationären Buchhändler dichtgemacht – und der E-Book-Boom geschieht nahezu komplett im rechtsfreien Raum. Eine breit angelegte Initiative wirbt nun mit Plakaten und TV-Spots für die Bezahlung für Literatur.
Zwar habe sich der legale russische E-Book-Markt 2012 im Vergleich zum Vorjahr glatt verdoppelt, berichtet publishingperspectives.com unter Berufung auf Zahlen des russischen Branchenverbandes. Absolut gesehen sind die rund 8 Millionen US-Dollar E-Book-Umsatz angesichts des riesigen Landes aber minimal, auch im Vergleich zum Print-Buch-Markt (2 Milliarden US-Dollar). Zum Vergleich: Der E-Book-Umsatz in Deutschland betrug 2012 nach GfK-Schätzungen 87 Millionen Euro (112 Millionen US-Dollar), also 14 mal so viel.
Dabei lesen die Russen schon heute sehr wohl digital, illustriert eine RBTH-Infografik: 70% der Befragten nutzen demnach bereits E-Books. Nur 15% davon gaben aber an, für E-Books Geld auszugeben. Umgekehrt laden sich 92% ihre E-Books kostenlos aus dem Internet, 36% bekommen sie von Freunden – in beiden Fällen wird es sich wohl nur selten um gemeinfreie Titel handeln. Dafür spricht auch, dass die zweithäufigste Antwort, warum man sich von Printbüchern zu E-Books gewandt hat, die Begründung "Ich möchte kein Geld ausgeben" ist.
Der Chef des russischen Online-Publisher-Verbandes schätzt, in Russland gebe es bereits 20-22 Millionen E-Book-Leser, diese Zahl werde in den nächsten Jahren noch deutlich steigen. Ein Sprecher des größten russischen Verlages Eksmo geht davon aus, bis zu 95% aller Downloads geschehen derzeit illegal – der Industrie gehe damit schon heute 120 Millionen US-Dollar jährlich verloren.
Dabei ist das Preisniveau mit 2-3 US-Dollar für aktuelle Verlagstitel bereits signifikant niedriger als in westlichen Ländern. Publishing Perspectives zitiert einen russischen Analysten, das Kernproblem in Russland sei vielmehr die Breite des legalen Angebotes: Auf legalen Plattformen (Marktführer ist litres) gebe es nur rund 60.000 Titel, auf Piratenseiten eher das doppelte.
Eine breite Allianz, zu der neben Händlern und Verlagen auch Hardware-Hersteller wie Bookeen gehören, will mit einer Leser-Kampagne die Zahlungsbereitschaft für E-Books steigern. In einem Kampagnenvideo sind etliche Schriftsteller zu sehen, die vor laufender Kamera von Piraten ausgenommen werden. Ein weiterer Spot geht das Thema weniger emotional an und illustriert die geschäftliche Schädigung durch Piraten (stilsicher verkleidet), verbunden mit einer Aufzählung der Vorzüge von legalen Shops (keine belästigende Werbung, keine Viren, garantiert hochwertige E-Books, Entlohnung der Urheber).
Parallel zur Verbaucheraufklärung wird gegen Piraten-Sites vorgegangen; schon aus deutscher Erfahrung lässt sich aber sagen, dass dies einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Zielführender scheinen da klare Appelle an die Leserschaft zu sein – und natürlich ein quantitativer und qualitativer (vernetzte E-Book-Plattformen) Ausbau des legalen Angebotes. Eine Blaupause könnten hier Musik-Streamning-Plattformen wie Spotify sein, deren Siegeszug den Musikpiratensumpf in einigen skandinavischen Ländern inzwischen nahezu komplett trockengelegt haben.
Kommentare
DerJupp 4. Juli 2013 um 12:59
"Eine breite Allianz […] will mit einer Leser-Kampagne die Zahlungsbereitschaft für E-Books steigern.
[…}
Auf legalen Plattformen gebe es nur rund 60.000 Titel, auf Piratenseiten eher das doppelte."
Wie will man denn Igor Normalski davon überzeugen für E-Books zu bezahlen, wenn ein Großteil des Angebots nicht gegen Bezahlung erhältlich ist?
GfK: Nur jeder zweite E-Reader-Besitzer kauft eBooks » lesen.net 26. März 2014 um 16:11
[…] Szene vielgenutzte Plattform (die kurz vor Weihnachten dichtmachte). Von Verhältnissen wie in Russland, wo nur 15 Prozent der eBook-Leser Geld ausgeben und eine drastische Anti-Piraterie-Kampagne […]