UK: Zahlreiche eBooks deutlich verteuert
Kurze Zeit nachdem die Live-Schaltung des britischen Kindle Stores (dem ersten Angebot außerhalb der USA) einen bislang beispiellosen eBook-Preiskrieg zwischen Amazon und lokalen Händlern wie WHSmith entfachte, beginnt sich der Markt in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Drei internationale Großverlage – Hachette, HarperCollins und Penguin – bestimmen bei Amazon UK vom heutigen Tag an selbst die Verkaufspreise ihrer eBooks; infolge dessen verteuerten sich zahlreiche Titel über Nacht um ein Vielfaches.
Wie schon in den USA verabschieden sich die drei Publisher auch in Großbritannien vom sogenannten Wholesale-Modell, bei welchem die Gestaltung der Endkundenpreise in Händlerhand liegt. Das Ergebnis waren zuletzt Dumpingpreise von umgerechnet unter drei Euro für viele aktuelle Bestseller; WHSmith gewährt gegenwärtig immer noch 60% Abschlag auf die 100 meistverkauften eBooks – eine Entwicklung, die für die Verlage trotz garantierter fixer Erlöse in vielerlei Hinsicht gefährlich und unbefriedigend ist.
Mitte Oktober informierte Amazon UK via E-Mail und Forum seine Kunden über die Pläne der drei Verlage, zum Agency Model zu wechseln. Das Unternehmen stellte sich darin als Anwalt der Kunden im Kampf um günstige eBook-Preise dar und verwies auf die Verbrauchermacht bei der Preisgestaltung – ein kaum verholener Boykottaufruf.
In the UK, we will continue to fight against higher prices for e-books, and have been urging publishers considering agency not to needlessly impose price increases on consumers. In any case, we expect UK customers to enjoy low prices on the vast majority of titles we sell, and if faced with a small group of higher-priced agency titles, they will then decide for themselves how much they are willing to pay for e-books, and vote with their purchases.
Das Agency Model gibt Verlagen die Möglichkeit, einen fixen und shopübergreifenden (also allgemeingültigen) Preis für ihre Publikationen festzulegen – üblicherweise deutlich über "Wholesale Model Niveau". Tatsächlich wurden die tausenden betroffenen eBooks zum heutigen Stichtag massiv verteuert: Das Stephen King eBook Just After Sunset vom Hachette-Label Hodder etwa kostet nun 18 Pfund – kurz zuvor war das gleiche eBook noch für 4,74 Pfund zu haben (Google Cache). Das eBook kostet nun mehr als dreimal soviel wie das Taschenbuch und sogar fast doppelt soviel wie das Hardcover – kein Wunder, dass sich Amazon mit dem Hinweis "This price was set by the publisher" von diesen und ähnlichen Preisen distanziert.
Amazon UK hat die frisch 'preisgebundenen' eBooks als einziger großer Online-Händler überhaupt schon im Sortiment: Die Konkurrenz von Waterstones und WHsmith hat die Titel der drei Verlage vorläufig aus dem Sortiment genommen, weiß das Branchenblatt The Bookseller zu berichten. Der Zustand wird aber wohl eher nicht von Dauer sein: Im Zweifel wollen Konsumenten lieber teure eBooks als gar keine eBooks angeboten bekommen.
"Plattform-Reader" wie der Kindle 3 schöpfen einen großen Teil ihrer Attraktivität aus der Anbindung an einen möglichst reich befüllten möglichst günstigen eBook Store – nicht ohne Grund trommelt Amazon seit Jahr und Tag mit seinem $9,99 Einheitspreis für aktuelle Bestseller. Wird das Angebot im integrierten beziehungsweise angebundenen digitalen Buchladen verteuert, richtet sich der Kundenzorn unabhängig vom tatsächlichen Schuldigen nicht zuletzt gegen den Plattformbetreiber – das war schon im Februar zu beobachten, als Barnes & Noble die eBook-Preise in seinem Nook Store anheben musste. Hinzu kommen natürlich rückläufige Verkaufszahlen der Hardware infolge eines weniger anziehenden "Gesamtpakets".
Beim Kindle kommt erschwerend die besonders große Bindung des Lesegeräts an den herstellereigenen Store hinzu – mangels epub-/Adobe-DRM-Unterstützung kann im Fall von Angebotslücken nicht auf andere Online-Händler zurückgegriffen werden. Amazon kann sich einen Boykott also besonders wenig leisten; hinsichtlich des Pricing ist die Reglementierung dagegen nicht weiter problematisch, weil beim Agency Model eBooks üblicherweise ohnehin überall gleich viel kosten.
Amazon UK fordert seine Kundschaft indirekt dazu auf, 'preisgebundene' eBooks zu meiden und dem Agency Model damit seinen Charme für Publisher zu nehmen. Dass Lesefreunde aus politisch-wirtschaftlichen Erwägungen auf die Lektüre ihrer gewünschten Literatur verzichten werden, ist aber generell zu beweifeln – vielmehr wird man sich wohl aus anderen Quellen bedienen. Mit drastischen Preiserhöhungen wie in UK werden sich die Verlage in jedem Fall keinen Gefallen tun – Online-Händler (solange sie wie Amazon auch günstige und funktionale Hardware offerieren) müssen sich bei solcherlei Vorstößen einzelner Verlage noch die wenigsten Gedanken machen.
<via KindleWorld>
Kommentare
Thomas Knip 1. November 2010 um 20:21
Interessanterweise wird Kings "Under the Dome" trotzdem auch weiterhin für 4.49 Pfund verkauft.
Und DAS ist für Kunden dann noch viel weniger nachvollziehbar, denn das künstliche Verteuern einzelner Bände vermittelt den Eindruck von Willkür.
Im Zweifelsfall wird nach einem illegalen Angebot gesucht; das sollten sich Verlage bei ihrer Preispolitik vor Augen halten.
Christian G. 1. November 2010 um 21:10
Genau! Durch solche Kamikaze-Aktionen fühlt sich der Verbraucher veräppelt und wechselt zu den illegalen Kanälen. Es muss ja nicht jedes Buch superbillig sein aber der Kunde sollte einen fairen Gegenwert erhalten. Doppelt so hoher Preis wie das Hardcover grenzt ja schon fast an Wucher!!!
Bigboo73 1. November 2010 um 22:41
Dumping muss nicht sein, wenn das ebook etwas billiger ist wie das Taschenbuch ist das ok, aber dann gleich wieder so draufzuhauen zeugt von Hilflosigkeit und Dummheit. Evtl. Sollten sie mal ihre eigenen economy Bücher lesen ;)
R 2. November 2010 um 19:47
Hoffe und glaube, daß das nur ein "Stolperstein" auf dem Weg zu einem nutzbaren ebook-Markt ist. (Wie der derzeitige mp3-Markt.)
Karsten 2. November 2010 um 20:06
Mann, haben die Berater von der MI eingestellt? So kommen die E-Reader in Europa nie aus dem Knick.
PeterS 2. November 2010 um 21:15
Mich würd mal interessieren wie die entsprechenden Manager ihre Geschäftsmodelle im Bereich eBooks so aufstellen.
Wie argumentieren die?
"Wir wollen in Zukunft keine eBooks verkaufen also machen wir die mal so teuer dass sie eh keiner kauft." oder wie?
Na ja, bleibt zu hoffen dass sich der Markt irgendwann bei vertretbaren Preisen einpendelt.
FomerMay 2. November 2010 um 22:42
Ist es eigentlich Zufall das sich 3 große (voneinander unabhängige?) Verlage gleichzeitig dazu entschliessen ihr eBook Preise deutlich anzuheben? Strafen für Preisabsprachen gibts in UK anscheindend nicht…..
Mika 3. November 2010 um 13:54
Könnten Kindle Besitzer aus UK nicht einfach auf den US Store ausweichen, oder ist dieser für sie gesperrt?
harlekin 4. November 2010 um 00:30
War wohl "zu erfolgreich"… :)
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