Apple iPad Test Übersicht
Nach sechs langen Wochen des Wartens und Spekulierens schafft Apple ab sofort Fakten: Das iPad geht in diesen Stunden in den (amerikanischen) Verkauf. Einige US-Medien publizierten bereits ausführliche Testberichte mit überwiegend positiven Eindrücken. Gerade als elektronisches Lesegerät macht das iPad aber noch nicht die allerbeste Figur.
Die beste Nachricht vorneweg: Steve Jobs hat in Sachen Akkulaufzeit wohl nicht zuviel versprochen. Die angekündigten 10 Stunden erreichten nahezu alle Tester selbst bei hardwareintensiver Nutzung. BoingBoing konnte sogar über zwölf Stunden Surfen, Videos kucken und Spielen – und das bei voller Bildschirmhelligkeit. Damit liegt die "Lesezeit" vom iPad noch weit hinter der von E-Ink Readern, welche nur beim Blättern Strom konsumieren und wenigstens 6.000 Seitenwechsel pro Aufladung ermöglichen. Für die meisten Nutzungsszenarien bringt das iPad aber absolut ausreichend Puste mit, selbst auf Transatlantikflügen hat man elektronisches Leefutter dauerhaft verfügbar.
Der von der Buchindustrie voller Vorfreude erwartete iBookstore war zumindest auf den Testgeräten erstaunlicher Weise nicht vorinstalliert, sondern musste aus dem AppStore bezogen werden. Zur Auswahl stehen dort derzeit rund 60.000 eBooks, wobei Bestseller preislich zwischen $9,99 und $12,99 – also wie von Jobs angekündigt "auf Kindle-Niveau" – liegen. Konkurrent Amazon kann aber derzeit noch mit einem fast 8x größeren Angebot punkten, 400.000 eBooks fasst der amerikanische Kindle Store momentan.
Innerhalb der eBooks können Bookmarks gesetzt und Wörter gesucht (auch direkt in Wikipedia & Google) oder kopiert, aber keine Notizen gemacht werden. Die massiv beworbene virtuelle QWERTY-Tastatur kommt hier also kaum zur Anwendung. Bei der Lektüre von Belletristik ist das recht egal, für Fachliteratur ist die fehlende Notizfunktion aber ein klarer Minuspunkt. Das iPad wird hier seinem Image als reiner Consuming- und Entertainment-Device voll gerecht: Fürs Arbeiten mit Texten ist das iPad nicht geeignet. Zur Anlage von Notizen muss das Buch verlassen und eine dafür konzipierte App (oder iWork) genutzt werden – das können selbst einige dedizierte Lesegeräte besser.
Seine wahren Stärken spielt das iPad erwartungsgemäß bei eBooks aus, die über die 1:1 Abbildung von gedruckter Literatur hinausgehen. Durchweg begeistert waren die Tester etwa von The Elements, einer von bislang 1.000 nativen iPad-Apps. Beim 14 US-Dollar teuren Programm handelt es sich im Kern um ein animiertes und interaktives Periodensystem, das Chemie besonders plastisch und attraktiv macht.
Viel Beifall gab es auch für die Marvel-App, sozusagen einem konzerneigenen App Store für Marvel-Comics. Abenteuer von X-Men, Spiderman, Captain America und diversen weiteren Superhelden lassen sich für je 2 US-Dollar/Ausgabe aufs iPad holen und machen dank Pitch-Zoom und schicker Aufbereitung auch großen Spaß. Im Darstellungmodus (eine Szene pro Seite) sieht BoingBoing sogar einen Vorteil gegenüber der Printausgabe – der Spannungsbogen sei größer.
Zeitungen und Zeitschriften machen auf dem iPad ebenfalls eine gute Figur, weiss WSJ-Techguru Walt Mossberg zu berichten. Die Wallstreet Journal iPad-App ist für ihn "die bislang beste Übertragung einer Zeitung auf einen Bildschirm". Die App vermittele wesentlich mehr den Look & Feel einer Print-Ausgabe, als das Website oder Smartphones könnten. Deutsche Verleger, die ihr ökonomisches Heil vielfach ebenfalls im iPad (oder ähnlicher Plattformen) sehen, werden das zufrieden zur Kenntnis nehmen.
Mossberg spricht aber auch einen sprichwörtlich gewichtigen Nachteil des iPad an: Mit 680 Gramm liegt das Tablet deutlich schwerer in der Hand als populäre eBook Reader (Kindle 2: 290 Gramm); bei längeren Lesesessions ist eine einhändige Nutzung äußerst ermüdend. Nicht ohne Grund haben die Testimonials in der iPad-Werbung den Device wohl auf den Knien liegen. Im Vergleich zu aktuellen großformatigen Lesegeräten wie dem Kindle DX (535 Gramm) fällt die Differenz allerdings gering aus.
Damit bleibt es bei unserer Einschätzung: Ein Kindle-Killer, als den das iPad auch einige Tester sehen, wird das Tablet wohl eher nicht. Das Erfolgsmodell von Amazon (wie auch die Konkurrenz von Barnes & Noble) ist halb so teuer, wiegt halb soviel und verfügt über ein deutlich augenfreundlicheres Display. Das Content-Angebot ist größer bzw. identisch, der "Weg zum Buch" dank 3G-Konnektivität mindestens gleichwertig: Nicht vergessen werden sollte, dass die günstigeren iPads nur WLAN an Bord haben und damit außerhalb der Reichweite von WLAN-Hotspots "blind" sind. Wer vorzugsweise Belletristik schmökert, ist mit einem dedizierten eBook Reader auch weiterhin bestens bedient.
Für Freunde abwechslungsreicher Unterhaltung und Comic-Fans sind Multimdia-Tablets dagegen künftig die 1. Wahl. Auch großformatige Inhalte wie Zeitungen und Zeitschriften sind auf dem iPad zweifellos attraktiver – hier könnte es mittelfristig eng für teure "Riesen-Reader" werden, die gegenüber LCD-Tablets kaum noch Preis- und Gewichtsvorteile haben und wesentlich weniger Funktionalität bieten (bei einem Graustufendisplay, das bei Hochglanzmagazinen eher Nachteil als Vorzug ist).
Wer das iPad schon längere Zeit in der Hand hatte, ist von Bedienbarkeit und Multifunktionalität begeistert. Ob der Device der ganz große Erfolg wird, hängt aber in den Augen aller Medien von der Entwicklergemeinde ab: Wie schon das iPhone ist das iPad abhängig von brillanten Apps, die das technisch trotz der langen Akkulaufzeit wenig spektakuläre Tablet zum "Game-Changer" machen. Mit Instapaper haben wir bereits über einen solchen Kandidaten berichtet, als weiterer Anwärter gilt momentan der SplitscreenBrowser.
Wir behalten Hardware und App-Szene natürlich weiterhin mit besonderem Fokus der Lesequalitäten im Auge – auch im Hinblick auf den deutschen Verkaufsstart, welcher Ende dieses Monats geplant ist.
Kommentare
iPad-Launch: Begeisterung, Apps, Bücher, Skepsis 3. April 2010 um 15:05
[…] sieht lesen.net weniger den Kindle-Killer, denn ein Comic- und Multimediatablet für Magazine, die von den […]
“Kindle for iPad” fertig + online » eReader » lesen.net 4. April 2010 um 13:24
[…] zum iPad-Verkaufsstart hat Apple die Version 2.0 der kostenlosen Kindle-App freigegeben, mit der über 450.000 (USA) / […]
Lesetipp: “Autoren sind die Gewinner” » eBooks » lesen.net 4. April 2010 um 16:49
[…] im Trubel um den iPad-Rollout publizierte die Krimiautorin Cora Stephan (alias Anne Chaplet) einen kontroversen Artikel in der […]
Apple iPad – erste Testberichte : studiGADGET 4. April 2010 um 23:54
[…] lesen.net (differenzierte und fundierte Übersicht über Meinungen aus der US-Presse; mit Videos) […]
MichaelS 5. April 2010 um 07:41
Der iPad schein ein cooles Spielzeug zu sein, einigen "Fehlern"
Zum Herumspielen mit dem Touch screen super. Zum Gamen und Video ansehen super. Für E-Books so so wie im Artikel oben beschrieben. Warum man mit dem iPad nicht telefonieren kann ist mir rätselhaft oder warum die Version mit 3G nur mit den neuen Minisim-Karte funktioniert auch.
Ich persönlich warte immer noch auf einen wirklichen Computer mit dem Touch screen Interface des iPad.
So lange ein iPad gleichviel kostet wie ein Laptop bleibt es ein cooles Spielzeug für Leute mit dem nötigen Kleingeld übrig für Spielereien.
Tobias R. 6. April 2010 um 12:02
Langsam wird es doch mal Zeit, hier seinen Senf zu lassen:
Diese "AntiApfel"-Haltung kann einem schon hier auf´n Senkel gehen. Selten so ein Blödsinn gelesen.
Grundsätzlich kann man technologisch einen Strich ziehen und seine Abwägung machen. Entweder max. Kontrast und keine benötigte Beleuchtung oder aber schnelles Display mit entsprechenden Nachteilen. Das lasse ich noch gelten.
Wenn ich da "Bei der Lektüre von Belletristik ist das recht egal, für Fachliteratur ist die fehlende Notizfunktion aber ein klarer Minuspunkt." lese, kann ich nur lachen. So was kann man nicht ernst meinen. Da muss man sich nur mal anschauen, was es an Tools für das iPhone gibt, dann hat man nur wage die Vermutung, was der Rest bringen wird.
Bitte, liebe Leute, seit ein wenig neutraler…
Johannes 6. April 2010 um 12:16
Doch, meine ich ernst. Magst du mir ein Tool verraten, mit dem ich mir Notizen in (!) fairplay-verschlüsselte eBooks auf iPhone/iPad machen kann? Ständig von einer App in die andere zu wechseln, ist wohl kaum eine produktive Option.
Ciao
Johannes
Thomas 8. April 2010 um 15:13
"Viel Beifall gab es auch für die Marvel-App, sozusagen einem konzerneigenen App Store für Marvel-Comics."
Die Marvel App ist genial, mir hat es schon lange nicht mehr so viel Spaß gemacht, Comics zu lesen.
ABER
Die App ist nur eine White Label-Version der "Comics" App von ComiXology. Wer diese herunterlädt, hat gleich deutlich mehr Inhalt zur Auswahl als nur die Marvel Comics (die dort übrigens auch angeboten werden).
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