Was wir vom neuen Kindle erwarten können
Es ist September und damit der Monat, in dem Amazon (neben vielen anderen Unternehmen) traditionell seine neuen Elektronikprodukte vorstellt. Die Gerüchteküche zu dem oder den neuen Lesegeräten des Unternehmen ist bislang erstaunlich ruhig. Das hält uns aber natürlich nicht vom Blick in die Glaskugel ab.
Im vergangenen Jahr hatte Amazon seinen neuen Kindle Paperwhite erstmalig auf der IFA präsentiert, wo auch wir einen Blick aufs Gerät werfen konnten. Die IFA 2014 öffnet an diesem Freitag ihre Pforten – schon am Donnerstagabend böte ein Preview-Event einen guten Rahmen für die Vorstellung des neuen Kindle. Und selbst wenn in Berlin nichts passiert: Schon um das Weihnachtsgeschäft voll mitzunehmen, wird Amazon den September kaum ohne eBook-Reader-Vorstellung verstreichen lassen.
Im Vorjahr überarbeitete Amazon seine Modellpalette nur überschaubar. Nachdem der im Herbst 2012 eingeführte erste Kindle Paperwhite mit der integrierten Beleuchtung ein echtes Killer-Feature bereit hielt (und zudem höher auflöste als der Kindle Touch), gab es im vergangenen Jahr "nur" eine neue E-Ink-Generation und ein paar neue Funktionen, die inzwischen via Firmware Update auch der erste Kindle Paperwhite hat. Der Basis-Kindle wurde sogar überhaupt nicht aktualisiert, im Laufe der Zeit aber deutlich preisreduziert.
Zumindest für das Flaggschiff wird diesmal wohl wieder ein größeres Update anstehen. Mögliche Neuerungen im Überblick, sortiert nach Wahrscheinlichkeit
Neues Gehäuse mit planer Oberfläche (90%)
Der Kobo Aura war der erste eBook Reader mit durchgehender Frontverglasung, wie man sie in der Vergangenheit nur von Tablets und Smartphones kannte. Auch der im Frühjahr erschienene Tolino Vision verfügt über ein solches Design, das schick, aber auch funktional ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Amazon seinen eBook Reader hier optisch an seine hauseigenen Tablets und Smartphones annähert.
Größeres Display… (70%)
Mit seinem Aura HD, einem Lesegerät im höchst ungewöhnlichen 6,8-Zoll-Format, landete Kobo einen Überraschungserfolg. Der war offenbar so groß, dass das neue Spitzenmodell Kobo Aura H2O ebenfalls mit diesem Formfaktor aufwartet. Entsprechend überraschte es auch nicht, dass Techcrunch im vergangenen November verbreitete, Amazon würde ebenfalls unter einem eBook Reader mit gewachsenem Bildschirm arbeiten.
Der "Kindle Ice Wine" sollte gemäß Techcrunch schon im Frühjahr 2014 debütieren. Das passierte bekanntlich nicht, einen neuen Kindle mit größerem Bildschirm macht das aber nicht weniger wahrscheinlich. Damit läge Amazon voll im Trend, die Smartphone-Displays wachsen seit Jahren. Die Leute wollen offenbar größere Displays, und Amazon hat sich einem Kundenwunsch noch nie verschlossen (, solange er zur Geschäftsstrategie passt).
Ein Revival des Kindle DX (mit 9,7″ Bildschirmdiagonale) scheint ausgeschlossen – für ein so großes Arbeitsgerät gibt es im Tablet-Zeitalter keinen so großen Markt, wie ihn Amazon haben will. Wahrscheinlicher sind 6,8″, das eine ideale Balance zwischen Bildschirmgröße und Handlung (Gewicht, Abmessungen) gewährleistet. Möglicherweise steckt im neuen Kindle sogar das gleiche E-Ink-Carta-Panel wie im Kobo Aura H2O.
… mit höherer Auflösung (70%)
In den letzten anderthalb Jahren kam der schärfste eBook Reader nicht von Amazon, sondern von Kobo (Aura HD). Zwar steckte im Kindle Paperwhite 2 ein im Vergleich kontrastreicheres Panel, auch die Pixeldichte trägt aber wesentlich zur guten Ablesbarkeit bei. Eine Kernfunktion für Lesegeräte also, bei der Amazon mit hoher Wahrscheinlichkeit nachbessern (lassen) wird – unabhängig davon, ob auch die Bildschirmgröße wächst.
Wasser- und Staubschutz (50%)
Schwierig. Einerseits werden inzwischen zahlreiche Tablets und Top-Smartphones (Samsung Galaxy S5, Sony Xperia Z, …) mit IP-Zertifizierung ausgeliefert, und bei dedizierten Lesegeräten ergibt ein solcher Schutz durchaus Sinn. Andererseits scheint nur ein kleiner Teil der Leserschaft dazu bereit, für einen solchen Schutz tiefer in die Tasche zu greifen (lesen.net Umfrage).
Der heftige Aufpreis des geschützten Pocketbook Aqua zum ungeschützten Modellbruder legt nahe, dass der Schutz für den Hersteller mit erheblichen Kosten verbunden ist. Und nach einem schwachen Quartal nebst Abstrafung durch Aktionäre scheint es unwahrscheinlich, dass Amazon seine eBook Reader noch stärker subventioniert, und eine deutliche Erhöhung des Verkaufspreises würde dem Amazon-Konzept zuwiderlaufen. Heißt: 50:50.
App Store (25%)
Die wohl größte softwareseitige Innovation bei dedizierten Lesegeräten heißt "offenes Android". Imvocsys Imcov6l, Onyx Boox T68 und zuletzt der Icarus Illumia haben ein mehr oder weniger aktuelles Android-OS vorinstalliert und buhlen um Lesefreunde, die zum Beispiel sowohl DRM-geschützte epub-Dateien als auch Kindle Books auf demselben eBook Reader schmökern wollen. Auch die Tablet-App der E-Book-Flatrate Skoobe wird unterstützt.
Gegen ein offenes Android oder zumindest einen angepassten App Store sprechen drei Dinge. Erstens hat sich Amazon schon vor vielen Jahren an "Active Content" versucht, mehr als einige unwirtschaftliche Mini-Spiele ergaben sich aber nicht aus den Bemühungen. Zweitens kranken die genannten Lesegeräte alle an Kinderkrankheiten wie hakeliger Bedienung, Inkompatibilitäten und großer Stromhungrigkeit.
Drittens, und das ist der Hauptgrund: Eine wie auch immer geartete Öffnung der Plattform würde der Amazon-Strategie eines gemütlich ausgepolsterten goldenen Käfigs zuwiderlaufen. Könnten auf einem Kindle wirklich komfortabel eBooks aus anderen Quellen gelesen werden, wäre es mit der Quersubventionierung der Hardware durch Content-Verkäufe nicht mehr weit her. Aus dem gleichen Grund ist übrigens auch ein derart "offener" eBook Reader von der Tolino-Allianz oder von Kobo sehr unwahrscheinlich.
Liquavista-Panel (in Farbe) (?%)
Bei einem Amazon-Presse-Event im vergangenen Monat fragten wir eine Firmensprecherin, wie es denn eigentlich mit Liquavista laufe und ob in Bälde ein Kindle mit entsprechendem Panel erwartbar sei. Die Antwort war ein freundliches, ganz offensichtlich ahnungsloses Lächeln – die Dame hatte anscheinend noch nie von Liquavista gehört. Damit ist sie freilich nicht allein: Seit Amazon den Displayspezialisten im Mai 2013 von Samsung übernahm, ist es bemerkenswert still geworden um das niederländische Unternehmen. Bemerkenswert, weil Amazon ganz sicher einen stattlichen Preis für Liquavista auf den Tisch legte und die von den Niederländern vorangetriebene Electrowetting-Technologie für augenfreundliche farbige E-Paper-Panels hochspannend ist.
Liquavista ist alles andere als abgewickelt, im Gegenteil rekrutiert Amazon permanent neues Personal für seine Display-Tochter. In einer aktuellen Stellenanzeige heißt es zu Liquavista, "diese neue Displaytechnik wird die Art, wie wir mit Mobilgeräten interagieren, komplett verändern".
Bleibt die Frage: Wann? Nachdem in dieser Hinsicht nichts aus Eindhoven nach außen dringt, ist jede Aussage in dieser Hinsicht reine Spekulation. Um eine solche sind wir natürlich nie verlegen und prognostizieren: Liquavista ist noch nicht so weit. Amazon wird mit Sicherheit keine halbfertigen Panels in seine strategisch enorm wichtigen eBook Reader implementieren. Dedizierte Lesegeräte, und das hat Amazon früh erkannt, haben ganz auf eine optimale Textanzeige zugeschnitten zu sein. Farbige Liquavista-Panels werden kaum über einen Kontrastreichtum wie aktuelle E-Ink-Displays verfügen und wären in Sachen Lesekomfort ein Rückschritt, den Amazon nicht in Kauf nehmen wird. Ohnehin erwarten wir das erste Liquavista-Panel eher in einem Kindle-Fire-Tablet als in einem eBook Reader.
<Bildnachweis: Screenshot aus Liquavista-Video>
Kommentare
E-Ink Innovationen auf der IFA 2014 [+Video] » lesen.net 5. September 2014 um 09:49
[…] Corporation nicht vorbei – die Panels des taiwanisch-amerikanischen Unternehmen stecken (noch) in allen aktuellen Readern. Doch E-Ink ruht sich nicht darauf aus: Von Smartphone-Cases über […]