1 Jahr Amazon Fire Phone: Gescheiterter Hoffnungsträger
Es war nicht nur Amazons wichtigstes Produkt seit Jahren, sondern auch ein ganz persönliches Prestige-Projekt von Jeff Bezos – und geriet zum wohl größten Flop der Firmengeschichte. Vor einem Jahr, im Juni 2014, stellte Amazon sein Fire Phone vor.
Mit dem Fire Phone wagte sich Amazon erstmalig in den bommenden, aber stark umkämpften Smartphone-Markt. Schon seit 2011 vertreibt Amazon eigene Tablets (ehemals Kindle Fire, inzwischen nur noch Fire Tablets), hatte hier zuletzt aber mit stark zurückgehenden Marktanteilen zu kämpfen.
Fire Phone: High-End-Technik zu stolzem Preis
Technisches Highlight des Amazon Smartphone war sein 3D-Display, das auch heute noch seinesgleichen sucht. Mittels vier nach vorne gerichteter Kameras (“Dynamic Perspective Sensors”) erkannte das Amazon Fire Phone die Kopfposition seines Anwenders und zeigt seinen Bildschirminhalt abhängig davon an. Dadurch entstand ein 3D-Effekt, der von Amazon als “Dynamic Perspectives” großflächig vermarktet wurde und bei der Navigation ebenso von Nutzen sein soll wie beim Spielen. Funktionales Highlight war ein Firefly getaufter Alles-Scanner, der neben QR-Codes, Visitenkarten und dergleichen auch Produkte erkannte – und natürlich zum Kauf auf Amazon führte.
"Unausgereift"
In den Verkauf kam das Fire Phone Ende Juli, vorerst nur in den USA. Die ersten Testberichte sorgten für Ernüchterung: Das Gerät steckt voller guter Ideen und das 3D-Display mache zumindest kurzzeitig Spaß, insgesamt gebe es aber kein ganzheitlich gutes Nutzungserlebnis, so das einhellige Echo. Es mache keinen ausgereiften Eindruck, wirke eher wie ein Prototyp als wie ein kaufbares Produkt. Im Verbund mit einem stolzen Preis von anfänglich 649 US-Dollar ohne Vertrag – also die Region von High-End-Android-Geräten und günstigen iPhones – vergab kaum ein renommiertes Medium eine Kaufempfehlung.
Drastischer Preisverfall, Rekord-Verluste für Amazon
Schon Ende August gab es erste Anzeichen für desaströse Verkaufszahlen. Trotz massiver Promotion habe Amazon nicht mehr als 35.000 Fire Phones im ersten Monat verkauft, berichtete der "Guardian". Im September fielen zeitgleich zum Verkaufsstart in Deutschland, wo das Gerät anfänglich ausschließlich mit Telekom-Netlock zu haben war, die Fire-Phone-Preise dann erstmalig kräftig.
Kurze Zeit später kam das Fire Phone schon auf die Resterampe. In den USA verkaufte Amazon das Gerät schon Ende November ohne Vertrag für 199 US-Dollar, inklusive einer Prime-Jahresmitgliedschaft im Wert von 99 US-Dollar. In Deutschland wurde das Gerät am Ende auf 149 Euro verbilligt. In diesem Februar verabschiedete sich Amazon auch vom Netlock, der hauptverantwortlich ist für den sehr schlechten Sterne-Schnitt des Fire Phone auf Amazon.de. Inzwischen, Inzwischen, nur neun Monate nach dem Verkaufstart, ist das Fire Phone in Deutschland komplett ausverkauft und den USA nur noch theoretisch erhältlich.
Das Fire Phone kam Amazon in mehrfacher Hinsicht teuer zu stehen. Es war maßgeblich verantwortlich für den im Oktober 2014 vermeldeten Rekordverlust des Unternehmen. Allein 170 Millionen US-Dollar entfielen auf Abschreibungen "primär fürs Fire Phone".
Schwächung des Mobile-Ökosystem
Der Flop des Fire Phone ist auch eine Schwächung des perspektivisch eminent wichtigen Mobile-Ökosystem von Amazon. Wie auf den Fire Tablets war auch auf dem Fire Phone das Amazon-Betriebssystem Fire OS nebst eigenem App Store installiert. Amazon lockt hier mit regelmäßigen Angeboten und Gratis-Apps, die Auswahl reicht allerdings nicht an den App Store von Apple oder Google Player heran – auch, weil für Anbieter die Verbreitung bislang zu gering war, um eine Listing attraktiv zu machen. Das Fire Phone sollte das ändern, krankte aber ein wenig am Henne-Ei-Problem: Ohne Anwender keine Apps, und ohne Apps keine Anwender.
Persönliches Baby von Jeff Bezos
Für Amazon-Gründer Jeff Bezos war das Gerät weit mehr als einfach nur ein neues Produkt. Das Technologiemagazin Fast Company beschreibt das Fire Phone in einer ausführlichen Reportage als persönliches Baby von Bezos, der persönlich etliche Gestaltungsaspekte überwachte und bestimmte – bis hin zur verbauten Kamera. "Letztlich haben wir das Fire Phone nicht für den Kunden, sondern für Jeff Bezos gebaut" zitiert Fast Company einen in die Entwicklung involvierten Amazon-Mitarbeiter.
Neue Produkte im Fokus
Zumindest nach außen hin hat sich Bezos vom Misserfolg aber nicht abschrecken lassen. Im Dezember betonte der Amazon-Chef, das Fire Phone sei eine "große Wette" und als Projekt langfristig angelegt. Man werde noch Jahre am Produkt festhalten und glaube fest an den Erfolg.
Von einem Nachfolgemodell fehlt gleichwohl noch jede Spur. Derweil sind andere Produkte wie der vor wenigen Tagen in den Verkauf gegangene Netzwerklautsprecher/persönliche Assistent Amazon Echo in den Fokus des Unternehmen gerückt, der sich offenbar auch hervorragend verkauft. Ob das Fire Phone vor diesem Hintergrund tatsächlich mit extrem hohem finanziellem Risiko weiterentwickelt wird oder sich doch in die Liste der Amazon-Flops einreiht, ist derzeit nicht abzuschätzen.
Kommentare
Amazon Underground: Hunderte gratis Premium-Apps für Android-Nutzer » lesen.net 31. August 2015 um 11:12
[…] dem Flop des Fire Phone konzentriert Amazon jetzt offenbar alle Ressourcen darauf, seinen eigenen App-Marktplatz – […]
eBooks • eBook Reader • eCommerce » lesen.net 17. September 2015 um 19:29
[…] Fire Phone mag auf Eis liegen, aber in Sachen Tablets ist Amazon trotz Rückschlägen so umtriebig wie eh und je. Am […]
“Fire Phone 2.0”: Vergünstigte Android-Geräte mit Amazon-Werbung und -Apps » lesen.net 5. Juli 2016 um 17:13
[…] 2014 erschienene erste Smartphone von Amazon, das Fire Phone, ging als einer der größten und kostspieligsten Flops in die Unternehmensgeschichte ein. Um ein eigentlich geplantes Folgemodell ist es still geworden, […]