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Triviales E-Book und intellektuelles Buch: Alte Vorurteile in neuen Schläuchen

Ein Graben zieht sich durch die Leserschaft: Kulturbeflissene Leser von Literatur auf der einen Seite und eskapistische Genrefans auf der anderen. Diese Diskussion wird durch das E-Book neu befeuert, sinniger wird sie aber nicht.

Der Blick auf die Kindle-Bestsellerliste ist eindeutig: Sie wird dominiert von dem, was im deutschen Feuilleton abschätzig als "Genreliteratur" bezeichnet wird. Liebesromane und der ein oder andere Krimi, meist von Autoren unmittelbar durch Amazon veröffentlicht. Kaum eine Spur von "ernsthafter" Literatur, wie sie sich gerade unter den Hardcover-Bestsellern noch findet, aktuell beispielsweise in Gestalt von Donna Tartts "Der Distelfink" oder John Williams' "Stoner". Auch Nutzungsstatistiken und Umfragen zeigen, dass elektronisches Lesen meist auf Unterhaltungsliteratur beschränkt ist.

Einstiegsdroge Genre?

Aber ist solche oftmals belächelte Genre-Literatur tatsächlich minderwertig oder kann sie als leichter Einstieg dienen, der Menschen dazu bringt überhaupt wieder zu lesen? Schafft sie es vielleicht sogar, neuen Lesern nach und nach ernsthaftere Literatur nahezubringen? Greift die Leserin oder der Leser von Mella Dumonts "Himbeermond" vielleicht danach eher zu Feridun Zaimoglus "Isabel" oder Zadie Smiths "Von der Schönheit"? Dieser Frage ist der Tim Parks in einem Kommentar für das New York Review of Books nachgegangen. Parks ist Booker-Preis-nominierter Autor, Übersetzer und gilt als Kenner der europäischen Geistesgeschichte.

Er macht deutlich, dass in seiner Erfahrung als dreifacher Vater und Universitätsdozent kein solcher Zusammenhang oder eine wie er es nennt "neo-platonische Leiter" von Trivialromanen zu ernsthafter Literatur besteht. So führt er W. H. Audens Essay “The Guilty Vicarage” an, in dem dieser seine Sucht nach Kriminalromanen beschreibt, die für ihn eine komplett andere Welt darstellen. Sie seien ein paralleles Universum, das andere Interessen anspricht und andere Bedürfnisse befriedigt und das daher nicht mit ernsthafter Literatur zu vergleichen sei.

Scheinargument und intellektuelle Aura

Parks entlarvt die Idee des leichten Einstiegs in das ernsthafte Lesen im Anschluss als ein Scheinargument. Es werde genutzt, um dem Gebrauchs- und Unterhaltungsgut Buch eine kulturelle und intellektuelle Aura zu verleihen und damit im Wettbewerb mit anderen Unterhaltungsmedien einen Vorteil zu erlangen. Auch stellt er heraus, wie dieses Argument den Lesern von "Literatur" eine gewisse Überlegenheit vermittelt. "Möglicherweise irrelevante Fähigkeiten wie intensives Lesen und kritisches Denken erfüllen demnach weiterhin eine bestimmte gesellschaftliche Funktion."

Er schließt mit der Feststellung, dass "es viele Möglichkeiten gibt, ein volles, verantwortliches und sogar weises Leben zu führen, die nicht damit verbunden sein müssen, anspruchsvolle Literatur zu lesen. Das heißt aber auch, dass diejenigen, die dieses Interesse ausleben, nicht im Besitz eines unverzichtbaren Mittels zur Selbsterkenntnis oder der Rettung der Zivilisation vor dem endgültigen Zusammenbruch sind."

Die Entzauberung des Buches

Die Diskussion um den Wert von Genreliteratur hat durch das Aufkommen von E-Books noch weiter an Schärfe zugelegt. Man sollte sich dabei also immer vor Augen halten, welches Interesse der spezifische Leser mit dem Konsum von Büchern verbindet: Will er nett unterhalten und für einige Zeit aus dem Alltag in eine andere Welt entführt werden? Oder wünscht sie literarische Reflexion und Experimentierfreude, die sich mit Gewinn lesen lässt, aber nur selten entspannt?

Damit wird das Buch aus der Sicht der "Literaten" natürlich entzaubert, es wird jedoch gleichzeitig auch weniger furchteinflößend und mystisch. Das wiederum könnte den ein oder anderen dann tatsächlich dazu bringen, mal wieder ein Buch aufzuschlagen oder anzuschalten. Und als Leser sind wir ja doch irgendwie überzeugt, dass das besser ist als fernzusehen.

<Bildnachweis: Alt vs Neu von Shutterstock>

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