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"Marktplatz oder 'Big Brother'": Neue Spionage-Vorwürfe gegen Amazon

Durchleuchtet Amazon soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook nach Bekanntschaftsbeziehungen zwischen Rezensenten und Autoren, um Gefälligkeitsbewertungen identifizieren zu können? Ein Indie-Autorin erhebt schwere Vorwürfe, eine an Amazon gerichtete Petition fand innerhalb kurzer Zeit mehrere Tausend Unterschriften.  Auch die Regularien ansich stehen in der Kritik.

Ständiger Kampf gegen Manipulationen

Die Fakten sind bekannt: Rezensionen haben einen überragenden Einfluss auf die Kaufentscheidung in Online Stores, und der größte und für den Buchverkauf relevanteste Online Store ist Amazon. In den letzten Jahren hat Amazon zahlreiche Anstrengungen unternommen, um das Bewertungssystem sicherer gegen Manipulationsversuche zu machen und seinen Kunden wirklich neutrale und relevante Rezensionen anzuzeigen.

In den letzten Monaten ging Amazon medienwirksam gegen professionelle Rezensionen-Verkäufer vor und stellte jüngst sein Bewertungssystem in dergestalt um, dass verschieden hilfreiche und aktuelle Bewertungen auch verschieden gewichtet in die Gesamtnote einfließen. Schon wesentlich längere Zeit entfernt Amazon Bewertungen unter Verweis auf seine "Richtlinien für das Schreiben von Rezensionen auf Amazon", die durchaus diskutabel sind.

"Persönlich Bekannte" dürfen nicht rezensieren

So heißt es in den US-Richtlinien wie auch in der deutschen FAQ recht unmissverständlich: "Wenn Sie ein direktes oder indirektes kommerzielles Interesse an einem Produkt haben, oder offensichtlich eine enge persönliche Beziehung zu einem Autor oder Künstler haben, werden wir Ihre Rezension entfernen" (Fettschrift von uns). Unter Verweis auf diese persönliche Bekanntschaft entfernte Amazon.com auch eine 5-Sterne-Bewertung der US-amerikanischen Indie-Autorin Imy Santiago.

Santiago hatte den Roman eines Kollegen bewertet, den sie persönlich kennen soll. In ihrem Blogpost zum Thema bestreitet sie diese Bekanntschaft. Tatsächlich ist sie mit dem Autor in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und auch der Amazon-Community Goodreads verbunden, wovon Amazon nach Ansicht der Autorin Kenntnis erlangt hat. Unabhängig davon hält sie die Definition von "persönliche Bekanntschaft" für fragwürdig.

Amazon wollte auf Rückfrage von Santiago nicht ausführen, wie das Unternehmen die angebliche Bekanntschaft ermittelt hat – das liege in  "der proprietären Natur unseres Geschäftes". Für die Autorin ist das "sehr besorgniserregend" und "eine Big Brother Mentalität".

13.000 Unterschriften für Online-Petition

Der Anfang dieses Monats verfasste Blogpost war Anstoß für eine bis heute anhaltende Kritikwelle innerhalb der Autoren-Community, aber auch medial. So berichtete etwa der Guardian und am gestrigen Mittwoch das Deutschlandradio Kultur (dem ich zum Thema Rede und Antwort stand). Die Online-Petition eines (anderen) Indie-Autoren, die Amazon zu einer Änderung seiner "Du kennst diesen Autoren" Richtlinie bewegen soll, sammelte innerhalb kurzer Zeit mehr als 13.000 Unterschriften.

Lubitsch-Romane bei Amazon

Lubitsch-Romane bei Amazon

Kritik an dieser Richtlinie gibt es auch aus Deutschland. So richtete sich die Top-Autorin Nika Lubitsch mit einem offenen Brief an Amazon und rief dazu auf, "die Kuh zu melken, nicht zu schlachten". Letzteres geschehe, wenn – wie in ihrem Fall – die Rezensionen des eigenen Ehemannes und einer Freundin gelöscht würden, während "gehässige, bösartige Rezensionen" nur im Ausnahmefall entfernt würden. Nach der Erfahrung von Lubitsch, die nach mehreren Hunderttausend verkauften eBooks plus Verlagsvertrag plus Filmrechteverkauf weiß wovon sie spricht, gehen von diesen bösartigen Buch-Rezensionen übrigens "80 Prozent auf das Konto von boshaften, neidischen Kollegen".

In der ganzen Debatte werden zwei ansich völlig unabhängige Fragen zusammen geschmissen: Wann Amazon eine Rezension als legitim betrachtet (beziehungsweise ob dieses Prozedere), und mit was für Mitteln Amazon Beziehungen zwischen Autor und Rezensent aufzudecken versucht.

Amazon sollte Kritik ernst nehmen

In der Indie-Community, wo die Grenzen zwischen Autoren und Lesern traditionell niedrig (viele sind in Doppelrolle unterwegs) und Autoren nicht selten einen sehr intensiven Austausch zu ihren Fans pflegen, wird das "Kenn-Verbot" für Rezensionen natürlich sehr kritisch gesehen. Zumal zum einen sicherlich vor allem Fans eines Autoren zur Rezension seines Buches neigen und zum anderen fraglich ist, inwieweit das Like einer Fanpage oder selbst die Teilnahme an einer Signierstunde eine "enge persönliche Beziehung bedeutet.

Amazon fühlt sich traditionell vor allem seinen Lesern verpflichtet, vor dem Hintergrund des häufigen Missbrauch des Bewertungssystems durch fingierte 5-Sterne-Rezensionen geht der Online-Händler hier verständlicherweise eher zu harsch als zu lax vor. "False positives" lassen sich da kaum vermeiden. Wenn dieselbe Klage von mehreren Tausend Autoren kommt, darunter auch Zugpferde von der Güteklasse Lubitschs, sollte Amazon allerdings sehr genau zuhören.

"Big Brother" eigentätig abwehren

Dass Amazon aus seinem Prozedere bei der Aufdeckung von Verwandtschaftsbeziehungen ein Geheimnis macht, ist nachvollziehbar. Ein vollständig transparenter Algorithmus würde Betrügern wie Konkurrenz die Arbeit erleichtern. Wer sich tatsächlich von Amazon durchs Web verfolgt fühlt, sollte dem Händler die Arbeit allerdings nicht zu einfach machen. Restriktive Datenschutzeinstellungen in den sozialen Netzwerken, etwa bei Facebook die Deaktivierung der öffentlichen Sichtbarkeit eigener Gruppen- und Site-Mitgliedschaften, hindert nicht nur einen etwaigen Amazon-Spider an seiner Arbeit.

<Bildnachweis: Spy von Shutterstock>

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